Theater Chur sagt «Grüsel-Stück» ab

30.03.2017, 15:53 Uhr
· Online seit 30.03.2017, 15:38 Uhr
Es ist eines der umstrittensten Theaterstücke des Jahres: Vor einer Woche feierte das choreografische Musiktheater «Requiem for a piece of meat» in der Gessnerallee in Zürich Premiere. Am Theater Chur, wo das Stück auch hätte aufgeführt werden sollen, wurde es abgesagt. Grund: Die Theater-Direktorin will ihren Zuschauern die deftige Kost nicht zumuten.
Michael Ulmann
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Kunst ist teils kontrovers, soll und darf sie auch sein. Was der Regisseur von «Requiem for a piece of meat» (auf Deutsch «Totenmesse für ein Stück Fleisch»), der Zürcher Daniel Hellmann, seinen Zuschauern zumutet, ist für einige jedoch zuviel des Guten. Im Stück, bei dem es um eine kritische Auseinandersetzung mit unserem Fleischkonsum geht, fummelt unter anderem ein Darsteller einem anderen minutenlang im Po herum, man sieht nackte Brüste und, wenn man genau hinschaut, sogar die Genitalien der Darsteller.

Teaser von «Requiem for a piece of meat»:

Aus «künstlerischen Gründen» abgesagt

Am Freitag und Samstag, 31. März und 1. April, hätte das Stück auch im Theater Chur aufgeführt werden sollen. Die beiden Vorführungen wurden jedoch kurzfristig abgesagt. In einem Schreiben heisst es, die Absage erfolge aus künstlerischen Gründen. FM1Today wollte es genauer wissen und fragte bei der Theater-Direktorin Ute Haferburg nach. Sie sagt: «Ich habe das Stück letzten Dienstag in Zürich gesehen. Danach wusste ich, das will ich unseren Zuschauern in Chur nicht zumuten.» Laut Haferburg übersteigt die Performance, in mindestens einer Szene, deutlich die Schamgrenze.

«Es fiel mir alles andere als leicht das Stück abzusagen. Normalerweise mache ich sowas nicht, auch wenn mir ein Theaterstück nicht gefällt wie in diesem Fall», sagt Ute Haferburg. Das Gezeigte sei schlicht und einfach «too much». Auch eine Kritik der NZZ lässt kaum ein gutes Haar an «Requiem for a piece of meat». Das Stück provoziere bloss, heisst es in dem Artikel.

«Ich kann das nicht nachvollziehen»

Der Regisseur Daniel Hellmann bedauert die Absage. Er sei sprachlos gewesen, als er vom Entscheid erfahren habe. Trotz eines längeren Telefongesprächs mit Ute Haferburg könne er ihren Entscheid nicht nachvollziehen, er respektiere ihn aber, so Hellmann. «Ich finde es einfach sehr schade. Weil bei meinem Stück geht es ja gerade darum, die Widersprüche in unserer Gesellschaft im Umgang mit anderen Menschen und vor allem mit Tieren sichtbar zu machen. Diese Widersprüche aufzuzeigen ist mein Ziel. Vielleicht wollen und können einige Leute diese Widersprüche aber nicht aushalten, auch auf einer Bühne nicht.»

Hellmann ist sich bewusst, dass er mit seinem Werk ein kontroverses und provozierendes Bild erzeugt. «Das Stück hätte man in Chur aber trotzdem aufführen können. Danach hätte ich eine Diskussionsrunde mit dem Publikum gut gefunden», so sein Vorschlag.

Sind Churer prüder als Zürcher?

In der Gessnerallee in Zürich, wo das Theaterstück in den letzten Tagen fünf Mal aufgeführt wurde, hat das Stück zwar auch Reaktionen ausgelöst, teils auch verstörende, aber eine Absage sei nie ein Thema gewesen, sagt Theater-Direktor Roger Merguin. Er sei erstaunt gewesen über die Absage in Chur. Er finde nicht, dass das Stück Grenzen überschreite und habe deshalb keine Probleme damit. «Requiem for a piece of meat» sei in Zürich sogar gut besucht gewesen.

Nach der Absage in Chur sind weitere Aufführungen in Bern, Lausanne, Basel und im deutschen Mannheim geplant. Daniel Hellmann hofft, dass es dort nicht zu ähnlichen Problemen kommt wie in Chur. Das wäre fatal, sagt er. Durch seine Arbeit am umstrittenen Theaterstück, das übrigens mit dem June Johnson Dance Prize ausgezeichnet wurde, ist Hellmann Veganer geworden.

veröffentlicht: 30. März 2017 15:38
aktualisiert: 30. März 2017 15:53

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