Vorarlberger Boden in Schweizer Hand

· Online seit 29.03.2016, 06:49 Uhr
Es ist eine Nachbarschaftsliebe der besonderen Art: Schweizer Bauern bewirtschaften auf Vorarlberger Gebiet landwirtschaftliche Flächen. Und das nicht nur aus gutem Willen, sondern weil die Grundstücke tatsächlich ihnen gehören.
Claudia Amann
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Mit den Schweizer Rieden sind Vorarlberg und die Schweiz sowohl geografisch als auch historisch verbunden. Seit Ende des 18. Jahrhunderts besitzen einige Schweizer Gemeinden auf Vorarlberger Boden Grundstücke. Und diese Flächen haben ein nicht unerhebliches Ausmass. In Lustenau ist gar ein Fünftel in Schweizer Hand. Genauer gesagt besitzt die Gemeinde Au 210 Hektar, die Gemeinde Widnau 137 Hektar und die Ortsgemeinde Diepoldsau-Schmitter 110 Hektar an der Gesamtfläche von Lustenau. In Höchst besitzt die Ortsgemeinde St.Margrethen 17 Hektar Land.

Historisches Relikt

Die Schweizer Gebiete in Lustenau und Höchst sind ein historisches Spezifikum aus der reichshöfischen Zeit im Mittelalter, als einige Schweizer Gemeinden noch zu Vorarlberg gehörten.

Ende des 16. Jahrhunderts begannen sich die Ortsgemeinden Widnau, Au und Schmitter vom Reichshof Lustenau zu lösen. Der Gemeindebesitz jenseits des (alten) Rheins wurde 1775 auf die Dörfer verteilt. Über den Besitz konnten sich die Rheintaler allerdings nicht immer freuen:  Im Ersten Weltkrieg mussten die Widnauer jährlich 200 Tonnen Heu für das Österreichisch-ungarische Heer abliefern, während des Zweiten Weltkriegs durfen keine militärpflichtigen Schweizer ins Riedgebiet.

«Vorbildhafte Arbeit»

Derzeit bewirtschaften in Höchst zwei und in Lustenau neun Haupterwerbsbauern das landwirtschaftlich nutzbare Land im Schweizer Ried. Der grösste Anteil wird von den fünf grössten Widnauer Landwirtschaften verrichtet. Sowohl die Vorarlberger als auch die Schweizer betonen das positive Miteinander. «Die Schweizer Bauern arbeiten mit Leidenschaft und haben grosse Freude mit den Flächen», tönt es aus dem Lustenauer Rathaus. «Alles geht absolut vorbildhaft und in Abstimmung mit dem Natur- und Landschaftsschutz über die Bühne.»

Bürgermeister Kurt Fischer holt weiter aus: «Seit Jahren pflegen wir sehr gute nachbarschaftliche Beziehungen und eine vertrauensvolle Zusammenarbeit mit den Schweizer Ortsgemeinden. Unsere gemeinsamen Bemühungen für die ökologische Aufwertung des Schweizer Rieds sind in vielerlei Hinsicht vorbildhaft.» Das jüngste Erfolgsbeispiel sei die «weitum geschätzte, gelungene Aufwertung des Naherholungsgebiets Alter Rhein in einen Natur- und Landschaftspark».

Grenzüberschreitende Koalition

In Lustenau wird gerade ein Projekt von partnerschaftlicher Dimension umgesetzt: Die Vorarlberger Gemeinde möchte ein Fussball-Nachwuchszentrum im «Oberen Schweizer Ried» verwirklichen. In der Nähe des Alten Rheins müssen dafür ca. acht Hektar zur Verfügung gestellt werden. Da dieses Gebiet im Besitz der Ortsgemeinde Widnau ist, mussten die Widnauer Ortsbürger in einer Bürgerversammlung Mitte März darüber abstimmen, ob die Fläche in Lustenau den Lustenauern im Baurecht zur Verfügung gestellt wird. Für den Bau des Fussballzentrums waren die Lustenauer also vom Entgegenkommen der Schweizer abhängig.

Frisch aus der Schweiz: Die Widnauer haben ja gesagt! Frei nach Andy Möller: Wir hatten vom Feeling her ein gutes Gefühl. Jetzt geht's loos! #fussballnachwuchs #schweizerried

Posted by Lustenau on Freitag, 18. März 2016

Grösse Flächen im Ausland

Die Schweiz besitzt nicht nur in Vorarlberg Grundstücke, sondern in vielen Grenzregionen eine Gesamtfläche von rund 5200 Hektar. Über die Eigentums- und Pachtverhältnisse für die im angrenzenden Ausland bewirtschafteten Flächen besteht keine Statistik. Nach Schätzungen ist laut Auskunft des Bunds aber davon auszugehen, dass von den 5200 Hektar ungefähr ein Drittel im Eigentum und zwei Drittel gepachtet sind. Innerhalb der 10-Kilometer-Grenzzone dürfen die so genannten rohen Bodenerzeugnisse wie Getreide, Futtermittel, Zuckerrüben, Früchte und Gemüse abgaben- und bewilligungsfrei eingeführt werden, sofern sie von Bewirtschaftern importiert werden. Die landwirtschaftlichen Betriebe erhalten Förderungsbeiträge und Direktzahlungen. Unter Berücksichtigung der günstigeren Produktionskosten im Ausland betragen die Beitragssätze für diese Flächen 75 Prozent der Ansätze für das Inland.

Glücklicher Zustand

Die gute Zusammenarbeit und das Miteinander sollen auch in Zukunft nicht getrübt werden. Die Rheintaler in der Schweiz wollen die Flächen auch die nächsten hundert Jahre weiter bewirtschaften, und auch für die Vorarlberger ist eine Änderung kein Thema. Friede, Freude, Eierkuchen ist ein zu seltener Zustand, um daran zu rütteln. Zudem sind die Übertragungen hieb- und stichfest eingetragen. «Die Flächen wieder zurück zu wollen ist kein Thema», heisst es im Lustenauer Rathaus. «Wobei es sicher nicht am Wollen liegt.»

veröffentlicht: 29. März 2016 06:49
aktualisiert: 29. März 2016 06:49

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