«Keine Frau ist so schön wie ein Teppich»

· Online seit 20.02.2017, 05:55 Uhr
Seit 38 Jahren handelt Nurtaç Kutlu mit kostbaren Teppichen aus der Türkei. Jetzt soll bald Schluss damit sein und die seltenen Teppiche kommen unter den Hammer. Ein Augenschein zwischen Fäden und Knöpfen.
Raphael Rohner
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«Ich lebe für diese Teppiche. Ihre Kunst fasziniert mich jeden Tag aufs Neue.» Der 73-jährige Teppichhändler Nurtaç Kutlu streicht mit seinen Händen über einen 250-jährigen anatolischen Teppich. Die Farben des Knüpfwerks leuchten hell, der Teppich riecht etwas muffig. Doch fühlt sich der Flor des Teppichs samtig und äusserst fein an. «Jeder Teppich hat seine ganz eigene Lebensgeschichte und diese trägt er mit sich», erklärt Kutlu. Die Teppiche überstehen ganze Generationen und stehen mit ihrem Besitzern alle Lebenslagen durch: «Sie geben einem einen warmen Stand, egal in welcher Lebenssituation.» Nurtaç Kutlu führt sein Teppichgeschäft an der Wassergasse im Herzen von St. Gallen.

Wertlose teure Feriensouvenirs

Kutlu erlebte in all seinem Geschäftsleben einige Geschichten. Vor allem sei er oft der Miesepeter gewesen, wenn er teure Feriensouvenirs als billigen Ramsch abkanzeln musste. In die Schweiz werden jedes Jahr Teppiche für rund 200 Millionen Franken importiert. «Die Leute lassen sich in den Ferien alles andrehen. Teilweise für mehrere tausend Franken», sagt Kutlu. Dann bringen die Touristen Kutlu den vermeintlichen Schatz, der sich dann als bedeutend weniger wertvoll herausstellt. Andere Kunden werden von den ausländischen Händlern hier in der Schweiz vor ihrer eigenen Haustüre übers Ohr gehauen. Ein Kunde aus St.Gallen kaufte - so erinnert er sich - mehrere Teppiche von einem Händler an der Türe für 50'000 Franken, die aber nur einen Wert von einem Zehntel hatten. Kutlu musste darum auch oft mit der Polizei wegen Betrug zusammenarbeiten. Im Laden stehen über 250-jährige Kunstwerke für bis zu 35'000 Franken zum Verkauf. Kutlu beteuert aber, dass jeder ein passendes Unikat bei ihm finden kann: «Ich biete auch Teppiche an, die unter tausend Franken sind, also fast geschenkt.»

Teppiche an die Mafia verkauft?

Als Kutlu noch ein Geschäft in Altstätten hatte, musste er eines Tages Kunden auf italienisch beraten. Da er dies jedoch nicht konnte, half ihm sein Nachbar aus. Ihm war ein bisschen mulmig bei dem Verkauf: «Meine Kunden waren Italiener, die in Heiden zum Kuren waren. Sie suchten sich gleich mehrere der kostbarsten Teppiche aus und wollten diese auch wirklich kaufen.» Erst als die Kunden darauf bestanden, nicht in der Buchhaltung aufgeführt zu werden und als sie die Rechnung über mehrere zehntausend Franken in bar zahlen wollten, wurde Kutlu skeptisch: «Was wollte ich machen? Ich verkaufte ihnen die Teppiche und liess sie damit davonziehen.» Wer seine Kundschaft war, weiss er nicht: «Ich habe mich auch nicht getraut, sie zu fragen.»

«Keine Frau ist so schön wie ein handgeknüpfter Teppich»

Nurtaç Kutlu hat über 38 Jahre lang Teppiche verkauft und dafür seine verheissungsvolle Karriere in der Industrie aufgegeben. Nun sollen seine Teppiche alle ein neues Zuhause finden, der 73-Jährige will sich langsam zu Ruhe setzen. Einen Ausverkauf will er aber nicht: «Ich kann es nicht mit meinem Gewissen vereinbaren, die Kunstwerke zu verramschen. Mein seeliger Meister hat immer gesagt: Keine schöne Frau war so schön, wie ein handgeknüpfter Teppich», Kutlu lacht und seine Augen glitzern glücklich. «Ich kann aber warten, bis jeder meiner geliebten Teppiche ein neues Plätzli hat und die Kunden damit glücklich weiterleben. Auch ohne mich.»

veröffentlicht: 20. Februar 2017 05:55
aktualisiert: 20. Februar 2017 05:55

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