Fünfte Jahreszeit

St.Galler Guggen fordern Reformen bei der Fasnacht – und drohen mit Boykott

06.03.2023, 08:03 Uhr
· Online seit 06.03.2023, 07:57 Uhr
Die St.Galler Fasnachtsgesellschaft sei bequem und selbstherrlich, das sagen zumindest vier Guggenpräsidenten in einem offenen Brief. Ein FDP-Mann soll die St.Galler Fasnacht aus dem Sumpf ziehen. Aber können die Neuerungen umgesetzt werden, bevor den Guggen der Geduldsfaden reisst?
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Die Trompeten sind verstummt, die Trommeln weggeräumt und das Konfetti schon längst von den Strassen gefegt. Die eigentlich sonst so fröhliche fünfte Jahreszeit scheint einen üblen Nachgeschmack hinterlassen zu haben: Präsidenten und Präsidentinnen von vier Guggenmusiken gehen mit der Fasnachtsgesellschaft St.Gallen hart ins Gericht. In einem Leserbrief, den sie ans Tagblatt geschickt haben und der FM1Today-Redaktion vorliegt, machen sie ihrem Ärger Luft.

Sie monieren darin die Organisation der Fasnacht, überfällige Neuerungen und fehlende Wertschätzung. Dem gegenüber steht die St.Galler Fasnachtsgesellschaft (FaGe), die sich ihren Mängeln bewusst zu sein scheint, die «Schuld» jedoch nicht alleine auf sich nehmen will. Aber der Reihe nach.

Die Vorwürfe der Guggen

Cornel Ehrbar, Präsident der Adlerbrüeter Mörschwil hat den Leserbrief mitverfasst. Auf Anfrage wird er konkreter: Die diesjährige Auftrittsplanung sei unbrauchbar gewesen. So hätte ein Plan für den Bärenplatz komplett gefehlt. Auch sei keine Bühne vorhanden gewesen, was zu weniger Platz für die Zuschauer und einem erschwerten Durchgang in der Gasse geführt hätte.

Nebst dem Fehlen der Beiz im Waaghaus ist den Guggen auch das Fehlen von WC-Anlagen sauer aufgestossen. «Die St.Galler Fasnachtsgesellschaft hat schlicht versagt und aus Bequemlichkeit und Selbstherrlichkeit auf die dringend notwendigen Reformen verzichtet», schreiben die Guggen im Brief.

Grundsätzlich sei die Organisation der Fasnacht nicht mehr zeitgemäss und die Entscheidungswege zu lang. Guggen, Fasnachtsgesellschaft, Schnitzelbänkler, Födlebürger, Quartierfasnachten – sie alle agieren in Eigenregie. «Es liegen auch viele Ressourcen brach, dazu gehören vor allem auch das Marketing und die Sponsorensuche, also der Erwirtschaftung von Kapital, welche es für eine Organisation eines tollen Fests einfach braucht», so Ehrbar.

Dabei hätte es gar nicht erst so weit kommen müssen. Für die Guggen ist klar, wer das Problem schon längst hätte lösen können: Oskar Seger, Präsident der FDP St.Gallen, Kantonsrat und seit November 2022 im Vorstand der FaGe. «Mit Oskar Seger stand ein fähiger Mann bereit, mit realistischen Visionen, einem grossartigen Beziehungsnetzwerk und nicht zuletzt der Fähigkeit, die St.Galler Fasnacht einer Auffrischungskur zu unterziehen. Auf diese Reformen warten die Fasnächtlerinnen und Fasnächtler seit vielen Jahren», schreiben sie im Brief.

Segers Vorschläge seien aber fast alle nicht umgesetzt worden. Warum, wissen sie nicht. Doch damit nicht genug. Seger soll nicht nur die Fasnacht in der Stadt St.Gallen reformieren, er soll auch gleich der neue Präsident der Fasnachtsgesellschaft werden.

Geehrt, aber erst seit Kurzem dabei

Was sagt der Hoffnungsträger Oskar Seger selbst? Dass die Guggen ihn gerne als neuen FaGe-Präsidenten hätten, «freut und ehrt» ihn sehr, denn ihm liege die Fasnacht sehr am Herzen, schreibt er auf Anfrage. Aber: «Ich habe zurzeit einige andere Ämter und diese nehmen viel Zeit in Anspruch. Ich bin aber in einem engen Austausch mit dem Vorstand der Fasnachtsgesellschaft und wir werden sicherlich eine sehr gute Lösung für die Zukunft finden. Die Fasnacht bedeutet mir sehr viel und ich engagiere mich auch sehr gerne dafür.»

Auf die Kritik der Guggen angesprochen, schlägt Seger versöhnliche Töne an. Zum Thema veraltete Organisation und lange Entscheidungswege sagt er: «Diesen Sachverhalt muss man mit allen Gruppierungen und Vereinen anschauen und gemeinsam einen Weg in die Zukunft finden. Ob und wie das möglich ist, wird sich zeigen. Ich bin aber davon überzeugt, dass die Fasnacht für alle gleich wichtig ist und wir gemeinsam eine Verbesserung hinkriegen.»

Dass es im Waaghaus keine Beiz gegeben hätte, bedauere auch er sehr. Die finanzielle Situation habe es aber nicht erlaubt. «Selbstverständlich werden wir dafür besorgt sein, das Waaghaus künftig wieder zu bespielen.»

Und sein Konzept, das angeblich abgelehnt wurde? «Ich habe ein fertiges Konzept erstellt und dieses auch vorgestellt. Die Vorbereitungen auf die Fasnacht beginnen jedoch sehr früh im Jahr. Es war deshalb aus zeitlichen Gründen nicht mehr möglich, Elemente aus dem Konzept umzusetzen.»

Er habe sich im November 2022 dazu entschieden, dem Vorstand beizutreten, um Erfahrungen zu sammeln. Diese Erfahrungen wolle er jetzt auswerten und sich dann wieder im Vorstand einbringen.

Der amtierende Präsident, Bruno Bischof, schliesst sich auf Nachfrage den Antworten von Oskar Seger an – bis auf eine Ausnahme. Die Frage nach der «unbrauchbaren Auftrittsplanung» und den «ungenügenden Informationen» beantwortet Bischof, indem er der FM1Today-Redaktion ein Mail der FaGe weiterleitet. Daraus geht hervor, dass den Guggen bereits Mitte Januar, also einen Monat vor Fasnachtsbeginn, die Auftrittspläne sowie ein Lageplan zugeschickt wurden.

Wie geht es weiter?

Die Guggen motzen aber nicht nur, sondern liefern auch konkrete Verbesserungsvorschläge. Adlerbrüeter-Präsident Cornel Ehrbar führt folögende Punkte auf:

Und was macht die Fasnachtsgesellschaft jetzt? Oskar Seger meint: «Die St.Galler Fasnacht ist in die Zeit gekommen. Vieles aus der Vergangenheit hat sich bis heute bewährt und einiges müsste man sicherlich ändern oder einmal neu strukturieren und ausprobieren. Es muss aber stets ein Miteinander sein. Weiter ist es wichtig, dass sich alle einbringen – nur dann können wir gemeinsam die St.Galler Fasnacht in die Zukunft bringen.»

Das «St.Galler Tagblatt» berichtete, dass noch in diesem Monat eine OK-Sitzung geplant sei, an der die Zukunft der St.Galler Fasnacht diskutiert werde. Im April oder Mai will man allen Involvierten die Neuausrichtung und Änderungen bekannt geben.

Eine schnelle Umsetzung ist wünschenswert, denn die Guggen lassen im Brief offen, ob sie 2024 noch in St.Gallen auftreten wollen. Ob die Änderungen zufriedenstellend sein werden? Es bleibt zu hoffen, denn trotz der Differenzen werden alle Beteiligten durch eine Gemeinsamkeit vereint: die Liebe zur Fasnacht.

veröffentlicht: 6. März 2023 07:57
aktualisiert: 6. März 2023 08:03
Quelle: FM1Today

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