Die Klimaseniorinnen haben vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte Recht bekommen. Die Schweiz mache zu wenig für den Klimaschutz.
Das Urteil wird auch für viele andere Länder weitreichende Folgen haben. Entsprechend fallen auch die Reaktionen aus dem In- und Ausland aus:
Greta Thunberg bezeichnet Urteil als guten Anfang
Die schwedische Klimaaktivistin Greta Thunberg hat die Verurteilung der Schweiz durch den Europäischen Menschenrechtsgerichtshof begrüsst. Diese «ist erst der Anfang in Sachen Klimastreitfälle», erklärte sie am Dienstag in Strassburg.
«Überall auf der Welt bringen immer mehr Menschen ihre Regierungen vor Gericht, um sie für ihre Handlungen zur Rechenschaft zu ziehen. Unter keinen Umständen dürfen wir zurückweichen, wir müssen noch mehr kämpfen, denn das ist erst der Anfang», sagte Thunberg nach dem Urteil.
EU-Kommission reagiert zurückhaltend auf Klima-Urteil
Die Kommission der Europäischen Union (EU) hat zurückhaltend auf das Urteil des Europäischen Menschenrechtsgerichtshofs in Strassburg in Sachen Klimafragen reagiert. Die Kommission werde sowohl das Urteil gegen die Schweiz wie auch die zwei abgewiesenen Beschwerden sorgfältig studieren, sagte ein Sprecher der EU-Kommission am Dienstag auf Anfrage der Nachrichtenagentur Keystone-SDA in Brüssel.
Unabhängig von den juristischen Argumenten würden die Fälle an den hohen Stellenwert erinnern, den die Bürgerinnen und Bürger dem Klimaschutz beimessen würden, sagte der Sprecher weiter. Die EU sei mit ihrem Klimagesetz auf dem Weg, die Ziele des Pariser Klimaabkommens zu erreichen.
Während alle 27 Mitgliedstaaten der EU die Europäische Menschenrechtskonvention unterzeichnet haben, ratifizierte die EU den Text bis anhin nicht. Allerdings werden in diesem Zusammenhang Gespräche geführt. Diese seien «fortgeschritten», hiess es aus Kommissionskreisen. Wann mit einem Beitritt zu rechnen ist, blieb offen.
SP: «Urteil ist eine Ohrfeige für den Bundesrat»
Das Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EMRG) zu Klimafragen hat Forderungen der SP bestätigt. Die Partei verlangte in einer Mitteilung am Dienstag erneut öffentliche Investitionen für das Gelingen der Energie- und Klimawende und kritisierte die Landesregierung für ihre Untätigkeit.
«Dieses Urteil des höchsten europäischen Gerichts ist eine Ohrfeige für den Bundesrat», liess sich Mattea Meyer, Co-Präsidentin der SP Schweiz, im Communiqué zitieren. «Der Klimaschutz und eine sichere Energieversorgung sind die grössten Aufgaben unserer Generationen. Wir müssen den ökologischen Umbau der Schweiz mit öffentlichen Investitionen vorantreiben.»
Verein Klimaschutz sieht «lange bestehendes Anliegen» bestätigt
Für den Verein Klimaschutz bestätigt das heutige Urteil ein schon lange bestehendes Anliegen des Vereins. Die Schweiz mache nach wie vor zu wenig für den Schutz ihrer Bevölkerung vor den Folgen der Klimakrise.
«Das heutige Urteil bestätigt, worauf der Verein Klimaschutz schon lange hinweist», so der Verein auf X.
Das heutige Urteil bestätigt, worauf der Verein #Klimaschutz schon lange hinweist. Die Schweiz macht zu wenig für den Schutz ihrer Bevölkerung vor den Folgen der #Klimakrise. @KlimaSeniorin https://t.co/TqXjkqeVdH
— Verein Klimaschutz Schweiz (@KlimaschutzCH) April 9, 2024
Christian Wasserfallen (FDP): «Völlig unverständliches Urteil»
Für den Berner FDP-Nationalrat Christian Wasserfallen ist das Urteil des Europäischen Menschenrechtsgerichtshofes in Strassburg «völlig unverständlich». Das Gericht verstehe die Schweizer Demokratie nicht, sagte er mit Verweis auf das 2021 an der Urne abgelehnte revidierte CO2-Gesetz.
Den Bundesrat allein für dieses Nein verantwortlich zu machen, sei «ein Witz», sagte Wasserfallen am Dienstag auf Anfrage der Nachrichtenagentur Keystone-SDA. Und dank der direktdemokratischen Mittel könnten sich in der Schweiz die Menschen mit ihren Anliegen bemerkbar machen.
Dem Urteil aus Strassburg mag Wasserfallen nicht allzu viel Bedeutung beimessen. Es sehe relativ politisch motiviert aus, sagte er. Ausserdem habe die Schweiz seit Jahren ein CO2-Gesetz mit erfolgreichen Klimaschutz-Massnahmen. Die neuste Revision werde hoffentlich bald in Kraft treten.
Mike Egger (SVP): «Lächerliches Urteil aus Strassburg»
Die Schweiz mache gute Umweltpolitik und investiere jedes Jahr Milliarden von Franken – mit Erfolg, sagte Egger. «Wir haben uns in vielen Punkten verbessert und den Treibhausgasausstoss pro Kopf und auch den Erdöl- und Stromverbrauch deutlich gesenkt.» Dies bestätigten Zahlen des Bundes.
Das Urteil aus Strassburg berücksichtige jedoch Aspekte wie die «massive Zuwanderung» in den vergangenen zwanzig Jahren nicht, sodass die in der Schweiz ergriffenen Massnahmen unterschätzt würden. Egger sieht aus diesen Gründen «definitiv keinen zusätzlichen Handlungsbedarf» nach der Rüge gegen die Schweiz. Umweltminister Albert Rösti habe bereits eine klare Strategie, wie er Umwelt- und Nachhaltigkeitsthemen angehen wolle.
Nicolò Paganini (Mitte): Rüge an die Schweizer Bevölkerung
Für Mitte-Nationalrat Nicolò Paganini (SG) geht die Rüge aus Strassburg eigentlich an die Adresse der Schweizer Stimmbevölkerung. Diese habe vor bald drei Jahren ein strengeres CO2-Gesetz aus dem Parlament abgelehnt. Dieser strengere Klimaschutz sei auch von der Mitte-Fraktion unterstützt worden.
Das Ergebnis der direkten Demokratie gelte es zu respektieren. «Im Schweizer System können keine Richter Entscheide von Volksabstimmungen umstossen.» Das sei Teil der politischen Kultur in der Schweiz.
Paganini schlägt vor, dass die Klimaseniorinnen eine Volksinitiative starten könnten mit ihrem Anliegen. Dann könnte sich am Ende wiederum das Stimmvolk zur Klimapolitik äussern.
SES hält Klimaseniorinnen-Urteil für richtungsweisend
Die Schweizerische Energiestiftung SES bezeichnet das Urteil des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte zu den Klimaseniorinnen als historischen Sieg. Das Urteil sei richtungsweisend, schrieb die SES auf X.
Damit sei nun offiziell, dass die Schweiz zu wenig getan habe, um die Bevölkerung in Bezug auf die Klimakrise zu schützen, so die SES.
Historisch! Der heutige Sieg der @KlimaSeniorin am Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte ist ein Meilenstein für den Klimaschutz. Das bahnbrechende Urteil ist richtungsweisend. 1/3 pic.twitter.com/8Bn5ZUEu9X
— Schweizerische Energie-Stiftung (SES) (@energiestiftung) April 9, 2024
Jürg Grossen (GLP): «EGMR-Urteil bestätigt, was wir schon wissen»
Für den Berner GLP-Nationalrat Jürg Grossen ist die Rüge der Strassburger Richter an die Adresse der Schweiz keine Überraschung: «Wir wissen, dass wir nicht genug für das Klima machen.» Es sei aber richtig, dass das nun auch international festgestellt worden sei.
Die Schweiz mir ihren hohen Klimaschulden und gleichzeitig vielen Mitteln in Sachen Technologie und Wissen müsse in Klimafragen ein Vorbild sein, sagte Grossen am Dienstag auf Anfrage der Nachrichtenagentur Keystone-SDA. «Wir müssen unsere Hausaufgaben selber machen.»
Zentral dafür sei das am 9. Juni zur Abstimmung kommende Stromgesetz, das den Ausbau erneuerbarer Energien in Inland fördern will. Das CO2-Gesetz, das Grossen als «zahnlos» bezeichnet, sei dagegen ein Beispiel dafür, dass die Schweiz zu wenig mache in Sachen Klimaschutz. Das Gesetz sei jedoch «besser als nichts».
Laut Grossen braucht es insbesondere in den Kantonen weitere Anstrengungen zur Bekämpfung des Klimawandels. Er denkt dabei beispielsweise an die Förderung von Gebäudesanierungen.
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WWF: «Sieg der Klimaseniorinnen ist Erfolg für alle Generationen»
Der Sieg der Klimaseniorinnen vor dem Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) ist laut dem Umweltschutzverband WWF ein Erfolg für alle Generationen. Es sei ein weitreichender Präzedenzfall, schrieb WWF Schweiz auf X.
«Offizeller geht's kaum: Die Schweiz muss endlich handeln», so der Verband.
Bundespräsidentin Viola Amherd (Mitte): «Möchte zuerst Details des Urteils lesen»
Bundespräsidentin Viola Amherd hat sich vom Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) gegen die Schweiz überrascht gezeigt. Dem Land seien nämlich Nachhaltigkeit, Biodiversität und das Nettonullziel «sehr wichtig», sagte Amherd in Wien.
Die Begründung des Urteils zu einer Klage einer Gruppe von Schweizer Seniorinnen wegen zu wenig Klimaschutz interessiere sie, sagte Amherd bei einer Pressekonferenz mit dem österreichischen Bundespräsidenten Van der Bellen anlässlich ihres Besuchs in Österreich. Sie sei daher gespannt, die Details des Urteils zu lesen, und werde danach eine Stellungnahme abgeben.
Klimastreik Schweiz nimmt nach Urteil Politik in die Pflicht
Nach dem Urteil des Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte nimmt der Klimastreik die Schweizer Politik in die Pflicht. Der heutige Entscheid stelle den Parlamenten kein gutes Zeugnis aus, hiess es in einer Medienmitteilung am Dienstag.
«Weltweit werden heute die Klimaziele verfehlt. Dies hat einen direkten Einfluss auf unser Leben und das der zukünftigen Generation. Wenn wir über die Gerichte die Parlamente zwingen müssen, unsere Lebensgrundlagen nicht zu zerstören, ist dies zwar ein Armutszeugnis, aber ein notwendiges Übel», schreibt der Klimastreik.
«Wir erwarten vom Bundesrat und dem Parlament, dass alles in Gang gesetzt wird, um das weltweite Ziel einer Begrenzung des Temperaturanstiegs von 1,5 Grad einzuhalten» und «Wir können es uns nicht leisten, noch einmal zehn Jahre vor Gericht zu kämpfen, bis die Dringlichkeit der Klimakrise juristisch anerkannt und dementsprechend gehandelt wird», liessen sich verschiedene Vertreter des Klimastreiks im Communiqué zitieren.
(sda/red.)