Turnen

6 Dinge, die nur Turner verstehen

29.08.2019, 09:12 Uhr
· Online seit 29.06.2018, 08:01 Uhr
Die Turnerinnen und Turner, sagen viele, sind eine Welt für sich. Ja, das ist so, aber eine wunderschöne Welt. TURNER: T iming, U mziehen, R iege, N oten, E inheit, R echtfertigen: Sechs Dinge, die jeder Turner kennt oder schon einmal erlebt hat.
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1. Timing

Schaut man Turnern bei ihren Darbietungen in der Gruppe ganz genau auf die Lippen, so kann man erkennen, dass diese immer dieselben Zahlen wiederholen: «Eis, zwei, drü, vier, füf, sechs, siibe, acht» - im besten Fall, werden der Handstand, der Flic Flac, der Doppelsalto oder die Riesenfelge zu einer dieser Zahlen gemacht. Im noch besseren Fall passiert dies synchron mit dem oder den Gspänli auf gleicher Höhe oder in der gleichen Stufe, wie wir zu sagen pflegen. Den Takt der Musik im Programm mitzählen zu können, ist das A und O des Turnens. Naja, es gibt leider auch allzu viele Gesellen, die das mit dem Zählen wohl nie lernen werden.

Oft fallen im Turnerjargon auch die Wörter «Pflänzli», «schtoh» oder «zieh!». Während das Wort «schtoht» relativ selbsterklärend ist – Ziel ist es bei allen möglichen Abgängen, Sprüngen, Landungen zu stehen, ohne nur den kleinsten Schritt zu machen – kann man sich unter «Pflänzli» weniger vorstellen: Ein «Pflänzli» ist ebenfalls ein Stand. Man sagt dann beispielsweise: «Ich habe drei Abgänge gepflänzlet», also ich bin drei Abgänge gestanden. Das kommt von einer Pflanze, die fest im Boden wächst. So fest sollten auch die Stände sein. «Zieh» wird gerufen, um die Gspändli zu motivieren, höher zu turnen, zu stehen oder die Übung durchzuziehen.

2. Umziehen

Wettkämpfe oder Turnfeste finden oft draussen oder in Turnhallen mit sehr beschränkter Anzahl an Garderoben statt. Wer keine «Füdli» sehen oder zeigen mag, der ist an einem Turnfest am falschen Ort. Je nachdem muss das Umziehen nämlich ziemlich schnell gehen, nämlich dann, wenn man von Disziplin zu Disziplin stresst und dabei zwei komplett unterschiedliche Outfits trägt. Muss man sich beispielsweise für die Disziplin Stufenbarren völlig verschwitzt in viel zu enge Strumpfhosen quetschen, kann das einige Minuten in Anspruch nehmen. Minuten, in denen Männer jeweils plötzlich völlig ungelenke Positionen beim Einturnen einnehmen, nur um einen Blick auf die «Füdli» zu ergattern oder die Frauen auf des Nachbars Sixpack starren.

Für alle Aussenstehenden: Es ist nicht so, dass wir uns darum reissen, in möglichst knapper Kleidung vor den Kampfrichtern herumzutänzeln. Die engen Dresses ermöglichen es den Wertungsrichtern, ungespannte Beine, Bäuche oder ein «Hohlchrüz» sofort zu erkennen. Mehr dazu unter Punkt vier.

3. Riege

Eine Riege ist ein bisschen wie eine Familie, ein Zweig eines Stammbaums. Innerhalb einer Riege hängt der Haussegen meistens gerade, während er innerhalb eines Vereins meistens schief oder gar nicht mehr hängt. Zur Erklärung: Ein Verein besteht aus mehreren Riegen: Also beispielsweise den Geräteturnern, den Leichtathleten, den Allroundern und so weiter.

Es gibt verschiedene Szenarien, die dazu beitragen, dass Hauptversammlungen regelmässig ausarten oder sich die einzelnen Vereine an Grossanlässen nur zum obligatorischen, gemeinsamen Nachtessen treffen:

1. Geld und Erfolg: Eine Riege hat mehr Erfolg und deshalb auch mehr Geld. Dies führt zu Neid und dazu, dass die Riegen sich gegenseitig versuchen, den Erfolg zu vermasseln. Dies beispielsweise, indem Anschaffungen an Versammlungen abgelehnt werden.

2. Helfereinsätze: Es gibt sie immer: Diejenigen, die an jedem Anlass dabei sind und freiwillig helfen. Es sind häufig aber auch immer die gleichen, die sich vor jeglicher Art von Einsatz drücken und sei es nur wenn es darum geht, einen Sack Äpfel mit ans Trainingswochenende zu nehmen. Dies führt zu einem Bruch der eh schon ziemlich «schitteren» Beziehung zwischen den Riegen.

3. Geschlecht: Es gibt tatsächlich Vereine, die können es nicht so mit dem anderen Geschlecht. Dort sind die Riegen dann einfach nach Geschlecht getrennt.

Ach, diese Turnvereine. Ein Verein hat es passend auf den Trainer gedruckt: «Turnen bis zur Urne». Am Ende ist es doch ein Verein, der sich trotz Feindseligkeiten sehr lieb hat.

4. Noten

Wie in vielen anderen sportlichen Disziplinen wird auch beim Turnen bewertet. In der Leichtathletik oder anderen athletischen Bereichen mit Zeit oder Anzahl Treffern zum Beispiel. In jeder Sparte gibt es eine Note, die sich zwischen 1 und 10 bewegt. Also beispielsweise 8,63 oder 7,55. Im Sektionsturnen, also dem Turnen in einer Gruppe, zu Musik, an Geräten, gibt es Punkte für die Einzelausführung, für die Synchronität und das Programm. Hat jemand seine Beine nicht gestreckt oder ein «Hohlchrüz» (keinen geraden Rücken), so gibt es ganz viele Strichli auf ein Blatt Papier des Wertungsrichters, der immer streng schaut und einfach alles sieht. Stimmen die Elemente, also der Salto oder die Rolle, nicht mit der Musik oder dem Partner überein, gibt es Abzüge in der Synchronität oder dem Programm. «Das isch überhaupt nöd synchron gsi» ist ein Satz, den man in der Videoanalyse im Training nach jedem Durchgang mindestens dreimal zu hören bekommt.

5. Einheit

Ein Turnverein ist eine Einheit. Nicht unbedingt, was die persönliche Beziehung zum vereinsinternen Ex oder zur Frauenriege anbelangt, aber immerhin das Erscheinungsbild stimmt. Ein Verein tritt im gleichen Trainer auf und wehe, man hat am Morgen eines Wettkampfs aus Versehen das schwarze statt das gelbe T-Shirt an. Sollte man es wagen, für die eigene Riege eigene T-Shirts drucken zu lassen, ui, dann hat man das Puff. Das gibt «Schnorris» und zwar vom Vereinspräsidenten höchstpersönlich. Der einzige, der sich irgendwie alles erlauben darf, inklusive bei der Rangverkündigung oder dem Fahnenlauf betrunken zu sein, das ist der Fähnrich.

Es ist nicht unbedingt nur der Trainer, der eine Einheit symbolisiert. Auch ist es das ganze Bon-System. An JEDEM und ich meine JEDEM Wettkampf oder Turnfest kriegt man für alles einen Bon: Einen Getränke-Bon, einen Essens-Bon, einen Übernachtungs-Bon, einen Glace-Bon, einen Kafi & Gipfeli-Bon… und das krasse ist, es funktioniert. Während die Festivals nur noch auf bargeldlose Bezahlung setzen, passiert das Zahlen an Turnfestern mit einem Fötzel Papier. Schön nicht?

6. Rechtfertigen

Zum Schluss noch dies: Das Turnen ist ein ständiges Rechtfertigen. Zuerst vor den Eltern, weil man zum ersten Mal im Leben an einem Turnfest einen Suff hatte und der Trainer ein paar undefinierbare Spuren hat. Dann vor den vereinsexternen Kollegen, die sich so überhaupt nichts unter Turnen vorstellen können und vor denen du dich manchmal schämst, zuzugeben, dass du im Turnverein bist. Dann im Büro, wo regelmässig Sätze fallen wie: «Da geht es ja nur ums Saufen» oder «da läuft die ganze Zeit nur Andreas Gabalier».

NEIN! Es läuft auch ab und zu «Wie heisst die Mutter von Niki Lauda» und NEIN es geht nicht NUR ums Saufen. Das Turnen ist auch eine Lebensschule oder wie mein einstiger Hauptleiter immer zu sagen pflegte: «Im Turnverein lernst du in einem guten Umfeld das Trinken.» Und nicht nur das: Man merkt auch, dass es verdammt viel Spass macht, zusammen etwas zu erreichen. Hurra, hurra, hurra du fröhliche Turnerschar!

Das ist übrigens mein Verein, der TSV Wattwil, und ich bin stolz, eine Turnerin zu sein.

veröffentlicht: 29. Juni 2018 08:01
aktualisiert: 29. August 2019 09:12
Quelle: abl

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