Noch kein Urteil zum «Mittelaltermord»

13.03.2019, 16:54 Uhr
· Online seit 13.03.2019, 15:15 Uhr
Ein Mann wurde zu neun Jahren Haft verurteilt, weil er seine Tochter in einer «Dämonenaustreibung» zu Tode trampelte. Vor dem Obergericht Thurgau forderte er eine mildere Strafe. Das Urteil steht noch aus.
Nina Müller
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Der heute 52-jährige Mann wurde vom Bezirksgericht Frauenfeld im März 2018 wegen eventualvorsätzlicher Tötung schuldig gesprochen und zu einer Freiheitsstrafe von neun Jahren verurteilt. Die Mutter und der Halbbruder des Opfers, die beide in Deutschland leben, sprach das Gericht Genugtuungen und Schadenersatz von insgesamt 70'000 Franken zu.

Im Januar 2016 geschah in Wagenhausen eine Gräueltat, die schweizweit als «Mittelaltermord» bekannt wurde. Im Glaube, dass seine kleinwüchsige und lernschwache Tochter von Dämonen besessen ist, führte ihr damals 49 Jahre alter Vater einen Exorzismus (religiöse Dämonenaustreibung) an ihr durch. Die Tochter kannte ihren Vater zu dieser Zeit erst zweieinhalb Jahre lang.

Anderes Strafmass gefordert

Das Urteil wurde sowohl von der Staatsanwaltschaft als auch von der Verteidigung angefochten. Der Staatsanwalt verlangte «mindestens 13 Jahre» Freiheitsentzug. Statt Freisprüche wegen Schändung - alternativ Störung des Totenfriedens - seien Schuldsprüche zu fällen.

Die Verteidigung beanstandete einzig das Strafmass. Der Beschuldigte anerkannte sowohl den Schuldspruch als auch die Zivilleistungen. Neun Jahre seien aber klar zu viel - dem Verschulden seines Mandanten angemessen seien 4,5 Jahre Freiheitsentzug.

In der Untersuchung hatte der Beschuldigte mit einer Strohpuppe demonstriert, wie er der Tochter habe einen Dämon austreiben wollen. Auf dem Video, das vor Bezirksgericht gezeigt worden war, sah man, wie der Mann mit aller Wucht auf dem zarten Körper der am Boden liegenden, kleinwüchsigen Frau herum getrampelt war. Sie erlitt schwerste innere Verletzungen.

«Reanimation ist Schutzbehauptung»

Laut dem Staatsanwalt gibt es keinerlei Gründe für den Freispruch vom Vorwurf der Schändung. Dass der Beschuldigte damit seine Tochter habe reanimieren wollen, sei eine reine Schutzbehauptung. Es gebe keine glaubhaften Rechtfertigungsgründe für die Verletzung der sexuellen Integrität der jungen Frau.

Er habe selbst gesagt, er verfüge über ein gewisses medizinisches Wissen sowie über Grundkenntnisse der Reanimation. Weder in der Schul- noch in der Alternativmedizin gälten jedoch sexuelle Handlungen als Wiederbelebungsmassnahmen. Es sei deshalb völlig unglaubhaft, dass er diese Manipulationen als effektives Wiederbelebungsmittel betrachtet habe.

Die Tötung sei zwar als eventualvorsätzlich eingestuft worden - also nicht beabsichtigt, aber in Kauf genommen. Sie weise aber Mordkomponenten aus, sagte der Staatsanwalt. Es sei zudem völlig unklar, weshalb der Mann es abgelehnt habe, den Rettungsdienst zu alarmieren - obwohl ihm sein Kollege per SMS dazu geraten habe.

Verteidigung: «Lebenslange Schuld»

Laut dem Verteidiger hatte das Bezirksgericht Faktoren zu Gunsten des Beschuldigten zu wenig berücksichtigt. Zwar werde er einmal seine Strafe abgesessen haben. Er werde aber sein Leben lang das Bewusstsein mit sich herumtragen müssen, am Tod seiner Tochter schuld zu sein.

Dass sein Mandant den Rettungsdienst nicht gerufen habe, erklärte der Verteidiger mit einem Schockzustand. Er habe irrtümlich geglaubt, mit seinen Manipulationen das Leben der Tochter retten zu können. «Er handelte, wie er es als richtig erachtete.» Das Urteil wird später veröffentlicht, wie die Gerichtspräsidentin am Mittwoch sagte.

 

veröffentlicht: 13. März 2019 15:15
aktualisiert: 13. März 2019 16:54
Quelle: SDA/red.

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