Quelle: FM1Today/Tim Allenspach
Die Szene am frühen Mittwochmorgen am Bahnhof Buchs sieht unpassend schön aus. Im Hintergrund färbt die Sonne die Berge orange-rot und erste Pendlerinnen und Pendler warten auf ihren Zug.
Auf Gleis vier fährt der Nightjet aus Wien ein, an Bord 34 illegal eingereiste Flüchtlinge. «Jetzt hat die Grenzkontrolle etwa zehn Minuten Zeit, um Passkontrollen durchzuführen und die illegalen Einwanderer aus dem Zug zu holen», sagt der Mediensprecher der St.Galler Kantonspolizei Florian Schneider und vergräbt seine Hände in der warmen Manteltasche.
«Do you have a passport?»
Eine Handvoll Grenzbeamte steigt in die hinteren Wagen. Mit Taschenlampen und ernsten Gesichtern leuchten sie in jedes Zugabteil. «Hello, do you have a passport?», fragt ein Beamter einen jungen Mann in einer roten Jacke. Dieser umklammert sein Smartphone und schüttelt stumm den Kopf.
Ruhige Prozession auf dem eiskalten Perron
Gut fünf Minuten dauert es, bis sich eine Kolonne junger Männer auf dem Perron bildet. Die Stimmung ist bedrückend ruhig, nur ab und zu hört man ein «please stand back».
«Viele dieser Männer haben nur ihr Smartphone dabei, Taschen oder Koffer sucht man vergebens», sagt Mediensprecher Florian Schneider. «Aber sonst ist es sehr angenehm mit diesen Menschen. Die meisten kommen aus Afghanistan und wissen sich auch zu benehmen.»
Pro Tag reisen in Buchs etwa 30 Personen illegal in die Schweiz
Die Türen des österreichischen Zugs schliessen sich und die Gruppe junger Männer setzt sich in Bewegung. Niemand sagt etwas, nur ein Mann hebt sein Telefon ans Ohr und beginnt zu telefonieren. «The Swiss Police got us», spricht er leise und abgeklärt in das Gerät.
«Seit dem letzten Sommer nimmt die Migrationsbewegung in Buchs enorm zu», sagt Florian Schneider. Im Moment werden pro Tag auf dem Bahnhof um die 30 Personen aufgegriffen. Meistens sind es junge Männer zwischen 16 und 25, die durch die Schweiz nach Frankreich oder Grossbritannien wollen. In der zweiten Hälfte 2021 kamen total 4563 Personen, seit Anfang Jahr 631 weitere.
Nach Gesundheitscheck geht's in die alte Chemiefabrik
Nach der ersten Kontrolle werden die Flüchtlinge ins Bearbeitungszentrum Buchs gebracht, eine alte Chemiefabrik auf einem Industrieareal ausserhalb des Bahnhofs.
Dort kümmern sich Polizei, Grenzschutz, das kantonale Migrationsamt, Mitarbeitende des Schweizerischen Roten Kreuzes und des Hilfswerks HEKS sowie eine private Sicherheitsfirma um eine reibungslose Abwicklung der Verfahren. «Rasch, rechtmässig und menschenwürdig» soll es gehen, sagt Einsatzleiter Simon Bless von der St.Galler Kantonspolizei.
Befragung und Gratis-Wlan
Vom Warteraum mit Verpflegung und Gratis-Wlan geht es zur Leibesvisitation, zum Fingerabdruck-Scan und dann zur Befragung. In den Befragungsboxen werden Dolmetscher beigezogen. Minderjährige Flüchtlinge erhalten zudem persönliche Betreuung durch Mitarbeitende des HEKS. Etwa die Hälfte der jungen Afghanen sind noch nicht 18 Jahre alt.
Eigentlich alles sinnlose Arbeit?
Nach der Erfassung und einem ersten Beratungsgespräch werden die Flüchtlinge in Unterkünfte gebracht. «Dort bleibt eigentlich niemand, am nächsten Tag sind die schon wieder weg», sagt Simon Bless von der St.Galler Kantonspolizei. Die jungen Männer sitzen dann schon wieder im Zug nach Frankreich oder Grossbritannien, wo sie sich Arbeit und Asyl erhoffen.
Sinnlos sei die Registrierung der Flüchtlinge aber nicht, sagt der Einsatzleiter der Kantonspolizei: «Wir sind verpflichtet, die Menschen zu registrieren, auch wenn sie gleich wieder das Land verlassen. So haben wir wenigstens unsere Hausaufgaben gemacht.»
Ein Ende ist nicht in Sicht
Die Behörden erwarten, dass die illegalen Einreisen in Buchs auch 2022 anhalten. Der St.Galler Justiz- und Polizeidirektor Fredy Fässler (SP) erklärte bereits im vergangenen November, der Bund führe Gespräche mit Österreich über eine Revision des Rückübernahme-Abkommens.
Ziel der Schweiz sei, das Verfahren zu beschleunigen. Österreich scheine aber – angesichts der gespannten Lage in Osteuropa – kein grosses Interesse daran zu haben. Sollte sich die Migration in Richtung Schweiz weiter verstärken, sei der Kanton St.Gallen auf Unterstützung des Bundes und der anderen Kantone angewiesen, sagte Fässler.