Jubiläum

100 Jahre «Jugis»: Von Stroh zu Wellness

· Online seit 07.04.2024, 08:28 Uhr
Wer kennt sie nicht, die Schweizer Jugendherbergen? Viele Schweizerinnen und Schweizer wissen sofort, wovon die Rede ist, wenn man von den «Jugis» spricht. Sie sind ein nationales Symbol und feiern dieses Jahr ihr 100-jähriges Bestehen. Wir schauen auf ein bewegtes Jahrhundert zurück.
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Während die Jugendlichen anfangs noch auf Stroh schliefen, selbst kochten und abspülten, bieten die Jugendherbergen heute neben Halbpension und Mehrbettzimmern auch Doppelzimmer mit Dusche/WC und teilweise sogar einen Wellnessbereich an.

Der Grundstein für die einfach Art dieser Unterkunft wurde 1924 markiert. Es war zugleich der Startschuss für den Jugendtourismus in der Schweiz. Am 28. April feiern die Schweizer Jugendherbergen ihr 100-jähriges Bestehen. Grund genug, uns die wichtigsten Meilensteine etwas genauer anzuschauen.

Die Geschichte der Schweizer Jugendherbergen erstreckt sich über ein ganzes Jahrhundert, von 1924 bis 2024. Die Anfänge reichen jedoch sogar bis in die Jahre 1900 bis 1924 zurück, in eine Zeit, in der das Wandern unter Jugendlichen an Popularität gewann. Trotz der Sorgen von Eltern und Lehrerschaft über mögliche negative Auswirkungen auf den Familienzusammenhalt und den Arbeitswillen der Jugendlichen wuchs die Bewegung stetig.

Die Gründungsjahre der Jugendherbergen (1924-1932)

Nach dem Ersten Weltkrieg begeisterte sich die Jugend zunehmend für das Wandern mit Gleichaltrigen. Die Idee, einfache und preisgünstige Unterkünfte für junge Reisende zu schaffen, fand Anklang. Am 28. April 1924 wurde die Zürcher Genossenschaft für Jugendherbergen gegründet. Die ersten Jugendherbergen wurden eröffnet und die Bewegung nahm Fahrt auf.

Die Jahre der Herausforderungen (1930-1938)

Die Jahre 1930 bis 1938 waren die Zeit der Wirtschaftskrise, der geistigen Landesverteidigung und des Faschismus. Trotz oder gerade wegen dieser Herausforderungen blieben die Jugendherbergen ein beliebter Treffpunkt für die Jugend. Die Idee der Gemeinschaftsunterkünfte, die auf dem Prinzip der Selbstverwaltung basierten, fand immer mehr Unterstützung.

Generalmobilmachung in der Schweiz, Zweiter Weltkrieg und erste Nachkriegsjahre (1939 bis 1947) 

Mit dem Ausbruch des Krieges änderte sich das Leben schlagartig, und die Jugendherbergen mussten sich anpassen. Ab 1940 gab es nur noch vereinzelt ausländische Gäste in den Schweizer Jugendherbergen und fast die Hälfte der Besucher waren Militärangehörige. Um die Belegung in den Kriegsjahren zu verbessern, warb zum Beispiel der Verein für Jugendherbergen Bern in Schulen für seine Einrichtungen.

Erholung und Professionalisierung (1947 bis 1959)

Immer mehr Familien entdeckten die Schweizer Jugendherbergen als attraktive Unterkunftsmöglichkeit. Die strikte Geschlechtertrennung wurde aufgehoben, um es Müttern, Vätern, Töchtern und Söhnen zu ermöglichen, im selben Zimmer zu schlafen. Neue, preisgünstige und moderne Betten wurden entworfen. Gleichzeitig wurde versucht, mehr Einheitlichkeit in den Verband zu bringen. Erstmals wurden nationale Richtpreise für die Verpflegung festgelegt. Die Jugendherbergen entwickelten sich von einer Jugendorganisation zu einem professionellen Dienstleistungsunternehmen.

Aufbruch der Jugend (1960 bis 1970)

In den 1960er und 1970er Jahren erlebte der Jugendtourismus einen Aufschwung. Junge Tramper und Anhalter zogen mit Rucksäcken auf eigene Faust durch die Welt, bevorzugten einfache und kostengünstige Unterkünfte. Gleichzeitig entstand Konkurrenz durch Pensionen, Gruppenunterkünfte und Bed&Breakfast-Angebote, die sich direkt an jugendliche Reisende richteten. Die Jugendherbergen passten sich den veränderten Bedürfnissen an, während ausländische Gäste vermehrt das Publikum ausmachten. Neue Standards wurden gesetzt und die kratzigen Wolldecken wurden durch zeitgemässere Angebote ersetzt.

Backpackerinnen und Backpacker entdecken die Schweiz (1970 bis 1980)

In den 1970er Jahren entdeckten Backpacker aus aller Welt die Schweiz und die Übernachtungszahlen in den Jugendherbergen stiegen rasch an. Die Jugendherberge Wollishofen wurde zu einem beliebten Anlaufpunkt. Trotz der grossen Nachfrage blieben die Jugendherbergen attraktiv. Neue Reisemöglichkeiten wie der Interrail-Pass führten zu einer internationaleren Klientel. Trotz guter Belegungszahlen waren viele Gebäude renovierungsbedürftig. Eine ETH-Studie empfahl eine Neuorganisation, was zur Gründung der Schweizerischen Stiftung für Sozialtourismus im Jahr 1973 führte. Diese verwaltete die Immobilien, während der Verein für Jugendherbergen Zürich sich auf die Betriebsführung konzentrierte.

Die Jugendherbergen in der Schweizer Bevölkerung (1980er Jahre)

Im Jahr 1980 wurde eine Umfrage durchgeführt, um die Bekanntheit und das Image der Schweizer Jugendherbergen zu ermitteln. Etwa 50 Prozent der Befragten kannten die Jugendherbergen und assoziierten sie mit preisgünstigen Unterkünften für Jugendliche. Trotz positiver Wahrnehmung sank die Mitgliederzahl, da junge Leute die strikten Regeln wie Geschlechtertrennung und Nachtruhe als veraltet empfanden. Ab 1983 begann eine Diskussion über die Kategorisierung der Jugendherbergen, die schliesslich als Parahotellerie eingestuft wurden. Trotz Modernisierungen behielten die Jugendherbergen ihre sozialen Werte und den sparsamen Umgang mit Ressourcen bei.

Die Herausforderungen der Gegenwart (2020-2024)

Die Jahre 2020 und 2021 waren von der globalen Covid-19-Pandemie geprägt. Die Jugendherbergen boten während des Lockdowns gestrandeten Geschäftsleute und Handwerkern, Menschen in besonderen Lebenssituationen sowie Militär und weiteren Personen, welche die medizinischen Institutionen während der Pandemie unterstützten, ein Dach über dem Kopf. Trotz der Unterstützung durch Bundes- und Kantonsmassnahmen resultierte für die Schweizer Jugendherbergen in diesen zwei Pandemiejahren ein historisches Defizit und der vollständige Kapitalverlust. Mit der Lockerung und Aufhebung der Pandemiemassnahmen im Jahr 2022 kehrte eine gewisse Erleichterung ein. 

veröffentlicht: 7. April 2024 08:28
aktualisiert: 7. April 2024 08:28
Quelle: ArgoviaToday

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