Schweiz

Zu viel Werbung für Schweizer Online-Casinos? Kritik eines Spielsüchtigen

Zu viel Werbung?

Schweizer Online-Casino-Geschäft boomt – ein Spielsüchtiger übt Kritik

· Online seit 10.06.2024, 04:45 Uhr
Seit 2019 gibt es Schweizer Online-Casinos. Deren Ertrag nimmt – im Gegensatz zu den Grand Casinos – jedes Jahr deutlich zu. Ein Spielsüchtiger kritisiert die aggressiven Werbekampagnen, mit welchen die Casinos auf ihre Angebote aufmerksam machen.
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Ende Mai veröffentlichte der Schweizer Casino-Verband die Zahlen zum Jahr 2023. Diese zeigen, dass es den Schweizer Casinos gut geht. Nur in den Jahren 2006 bis 2009, als unter anderem der James-Bond-Film Casino Royale das Thema Glücksspiel in die Kinosäle der Welt brachte, wurden in der Schweiz noch höhere Spielerträge generiert als 2023. Trotzdem zeigt sich in den Zahlen eine eindrückliche Veränderung. Das Haus gewinnt nach wie vor – aber immer mehr über die digitalen Kanäle.

Der Bruttospielertrag der sogenannten «terrestrischen» Casinos, also der festen Standorte wie etwa in Baden, Bern oder Luzern, nimmt seit 2007 ab – 2023 verzeichnen die Grand Casinos den tiefsten Stand seit 20 Jahren. Trotzdem müssen sich die Glücksspiel-Anbieter eben keine Sorgen machen. Durch die Online Casinos konnten die sinkenden Gewinnzahlen aufgefangen und teilweise gar ausgebaut werden.

So viel Umsatz generieren die Schweizer (Online) Casinos

Die 21 fixen Casinos verzeichneten 2023 einen Bruttospielertrag von rund 623 Millionen Franken, was rund einem Prozent weniger entspricht als im Vorjahr. Beschäftigt werden bei diesen Casinos 2665 Personen. Die 10 Online Casinos haben letztes Jahr 286 Millionen Franken generiert – eine Zunahme von über 14 Prozent, und das bei 313 Arbeitsplätzen. Nach wenigen Jahren machen die Online Casinos also bereits fast ein Drittel des Gesamtertrages aus.

Ein Grund für das wachsende Online-Geschäft dürften unter anderem die starken Werbekampagnen für die Onlineangebote sein. Auch Personen, die mit Glücksspiel nicht viel am Hut haben, werden auf Social Media und YouTube Angebote der Schweizer Casinos angezeigt. Gerade für Spielsüchtige kann dies zum Problem werden.

Getriggerte Spielsüchtige – ein Kollateralschaden?

Die Today-Redaktion hat mit dem Spielsüchtigen L.* gesprochen. Nach eigenen Angaben hat er rund 100'000 Franken durch Glücksspiel verloren, hauptsächlich durch Poker und Blackjack. «Man spielt immer so lange weiter, bis man nichts mehr hat», sagt L. im Interview. Mittlerweile ist er gesperrt – auf eigenen Wunsch hin. Nun stört er sich an der allgegenwärtigen Werbung, die von den Schweizer Casinos ausgespielt wird.

«Seit dem neuen Geldspielgesetz werde ich mit viel mehr Werbung konfrontiert als vorher», sagt der Spielsüchtige. Ausländische Anbieter hätten früher zwar auch Werbung gemacht, aber jetzt sei die Reklame der Schweizer Anbieter omnipräsent.

*Name der Redaktion bekannt

So ist für den Ex-Pokerspieler auch das Argument des Spielerschutzes, welches damals im Abstimmungskampf von den Befürwortern ins Feld geführt wurde, «ein Witz». Wenn jetzt so aggressiv Werbung gemacht werde, sei das für ihn ein Scheinargument. «Wenn es wirklich um Schutz gehen würde, würde man auf Werbung verzichten.»

Wenn L. auf solche Werbung stösst, werde er jedes Mal getriggert. Am schlimmsten sei es, wenn die Werbung mit den typischen Casino-Geräuschen kombiniert wird – etwa online oder im Radio. «Das Abspielen dieses typischen Geklingels der Automaten und von Münzen wird sicher absichtlich gemacht, um Leute zu triggern», sagt L. – so würden sich seine Gedanken dann wieder mehr um Glücksspiele drehen und einen Suchtdruck auslösen. «Dass ich und andere Leute, die mit Spielsucht kämpfen, immer wieder damit konfrontiert werden, ist sozusagen der Kollateralschaden.»

Ein Verbot von Glücksspielen will der Spielsüchtige L. übrigens nicht, nur die Werbung will er nicht mehr sehen. Ein Land, das dies beispielsweise bereits so vorlebt, ist Italien. Seit 2018 ist bei unseren südlichen Nachbarn Werbung für Glücksspiele verboten.

Das Problem kennt auch die Suchtberatung

Werbung für Glücksspiele ist ebenso Thema bei Fachstellen. «Wir haben viele Rückmeldungen von Klientinnen und Klienten, die an Spielsucht erkrankt sind», sagt Christina Messerli, Leiterin Beratung und Therapie bei Berner Gesundheit und Vorstandsmitglied des Fachverbands Sucht. «Sie sagen, dass die Werbung sie massiv belaste. Vor allem auch, weil sie einen zum Spielen reize und es nach wie vor zahlreiche Schlupflöcher fürs Spielen gebe.»

Beispielsweise gebe es trotz Sperre bei Schweizer Casinos die Möglichkeit, in ausländischen Casinos (illegal) zu spielen. Für die Eidgenössische Spielbankkommission ESBK ist das ein Kampf gegen Windmühlen. In den vergangenen fünf Jahren hat die ESBK nach eigenen Informationen über 1700 Domains gesperrt.

Gemäss einer Studie von Sucht Schweiz aus dem Jahr 2023 habe die Zahl der als problematisch eingestuften Spielerinnen und Spieler stark zugenommen – von 2,3 auf 5,2 Prozent. «Es ist zu befürchten, dass sich dieser Anstieg im Laufe der Zeit fortsetzt, bis er möglicherweise das in den Nachbarländern beobachtete Niveau erreicht oder übersteigt (13,0 Prozent in Frankreich, 17,6 Prozent in Italien und 21,3 Prozent in Deutschland)», schreiben die Autorinnen und Autoren. Christina Messerli geht ebenfalls davon aus, dass diese Zahl weiter zunimmt.

Die letzte Studie zu Glücksspiel und Spielsucht des ESBK selbst betrachtet das Jahr 2017 – eine Zeit vor der Einführung des Geldspielgesetzes und der Schweizer Onlineangebote. Damals wurden in einem Jahr 3 Prozent an risikoreichen oder pathologisch Spielenden festgestellt.

«Diese Kampagne hat eine rote Linie überschritten»

Nebst der technischen Umsetzung der Sperren von ausländischen Anbietern, die nicht funktionieren, bemängelt Messerli noch weiteres, etwa, dass Personen in mehreren Casinos spielen können, ohne dass die Informationen unter den Spielbanken ausgetauscht werden. So sei es möglich, dass Spielende trotz der geforderten Limite der einzelnen Casinos insgesamt hohe Summen parallel verspielen könnten. «Hier braucht es eine zentrale Registrierung», sagt Christina Messerli. Gut funktioniert diese bereits bei den Spielsperren in Schweizer Casinos. Wird eine Person gesperrt oder lässt sich selber sperren, dann könne sie in keinem Schweizer Casino mehr spielen, weder online noch im Casino vor Ort.

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Ein Grund für die invasive Werbung sieht die Bereichsleiterin Beratung und Therapie Christina Messerli auch im Konkurrenzdruck, den die Schweizer Casinos untereinander haben. «Jedes Casino, das online ging, musste sich auf dem Markt etablieren, mit anderen Angeboten und noch besseren Werbemassnahmen.» Sie kritisiert dabei besonders die Art, wie diese Werbung geschaltet wird. Im Fernsehen laufe etwa Casinowerbung zur besten Sendezeit: «Das hat Jugendliche und natürlich auch Kinder erreicht.» Zudem dürften mit der Werbung eigentlich keine Gewinnversprechen gemacht werden. Dies werde aus Sicht der Fachstellen so nicht eingehalten.

Erschrocken sei man auch über die grosse Kampagne des Casinos Baden mit dem Schweizer Musiker Stress. «Da waren riesige Plakate an Bahnhöfen zu sehen, die fürs Geldspiel werben. Das hat, was die Zielgruppe der Werbung anbelangt, für uns definitiv eine rote Linie überschritten.»

Casinoverband: «Werbung ist zwingend notwendig»

Die Schweizer Casinos sehen das anders. «Das Ziel des Gesetzgebers ist es, das Online-Glücksspiel vom illegalen in den legalen Bereich zu kanalisieren», sagt Marc Friedrich, Geschäftsführer des Schweizer Casino Verbandes. «Dafür ist Werbung der Schweizer Online Casinos zwingend notwendig.» So müssten Schweizer Online Casinos für ihre Angebote Werbung machen, weil sie relativ neu im Markt sind und in Konkurrenz zu den ausländischen Online Casinos stehen.

Friedrich weist darauf hin, dass die illegalen ausländischen Casinos in der Schweiz einen Marktanteil von circa 40 Prozent hätten. «Sie ziehen pro Jahr rund 180 Millionen Franken von Spielern aus der Schweiz ab – und bezahlen hier keine Steuern, bieten keinen Schutz vor Spielsucht und betrüben teilweise ihre Spieler». Für das legale und kontrollierte Angebot der Schweizer Casinos müsse Werbung erlaubt sein. «Die Spieler können ohne Werbung nicht unterscheiden, ob sie bei einem legalen Schweizer Casino oder bei einem illegalen Casino spielen», so der Geschäftsführer. Zahlen, wie viel Geld die Schweizer Casinos in ihre Werbemassnahmen investieren, hat Friedrich keine.

Der sinkende Ertrag der terrestrischen Casinos und die stetige Zunahme bei den Onlineangeboten sieht der Casinoverband als verändertes Verhalten durch Digitalisierung, andere Gewohnheiten und ein jüngeres Publikum. Dass das Online Casinos die klassischen Angebote ablösen wird, glaubt Marc Friedrich aber nicht. «In Zukunft werden beide Formen nebeneinander bestehen. Die klassischen Casinos werden sich vermehrt mit zusätzlichen Angeboten neben den Spielen zu Unterhaltungszentren entwickeln.»

Anpassungen am Geldspielgesetz sind möglich

Trotz aller Kritik hält Christina Messerli das seit 2019 geltende neue Schweizer Geldspielgesetz grundsätzlich aber für sehr wichtig. «Wir sind extrem froh, dass wir eine gesetzliche Regelung haben, die die Casinos in die Pflicht nimmt», so Messerli. So dürfen die Casinos weder Menschen, die in prekären Verhältnissen leben, noch Menschen, die ein riskantes oder abhängiges Spielverhalten zeigen, spielen lassen. «Bei der Vernehmlassung des Geldspielgesetzes hatten wir noch mehr gefordert.» Forderungen, wie beispielsweise eine weitere Fachstelle mit Expertinnen und Experten, welche zusätzlich zum ESKB die Umsetzung begleiten und überwachen würde. Dies Anliegen wurde jedoch nicht in die Vorlage genommen.

Es ist möglich, dass es in den nächsten Jahren noch Anpassungen am Geldspielgesetz geben könnte. Im April 2022 hat das Eidgenössische Justiz- und Polizeidepartement beschlossen, das Geldspielgesetz zu evaluieren. Die Evaluation und der entsprechende Bericht werden vermutlich bis Herbst 2026 dauern.

«Aktuell wird die Evaluation von einer Gruppe von nationalen Geldspiel-Expertinnen und -Experten begleitet, um möglichst auch Verbesserungen, die den Spielerschutz betreffen, in den Prozess einzubringen», sagt Christina Messerli. «In dieser Zeit wird die Anzahl Spielender und Risikospielender sicher weiter zunehmen.»

veröffentlicht: 10. Juni 2024 04:45
aktualisiert: 10. Juni 2024 04:45
Quelle: BärnToday

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