Spanischer Umbruch, aber keine Revolution

03.07.2018, 06:40 Uhr
· Online seit 03.07.2018, 05:00 Uhr
Trotz der schwachen Resultate bei den letzten Turnieren will Spanien seine taktische Identität nicht aufgeben. Das Tiki-Taka benötigt aber eine Anpassung. Mit Andres Iniesta verabschiedete sich nach dem Achtelfinal-Out gegen Russland auch die zweite grosse Identifikationsfigur des Tiki-Taka.
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Zusammen mit Xavi machte er diese ganz auf Ballbesitz ausgerichtete Spielweise zu einem spanischen Erfolgsmodell. Von 2008 bis 2012 gewann die zuvor oft enttäuschende «Seleccion» drei grosse Titel in Serie, den letzten dank einem fantastischen 4:0-Sieg in Kiew im EM-Final gegen Italien.

Niemand hätte damals gedacht, dass es auf Jahre hinaus, nämlich bis mindestens 2020, der letzten Sieg der Spanier in der K.o.-Runde eines grossen Turniers sein würde. Seit diesem denkwürdigen Abend in der ukrainischen Hauptstadt brillierten die hochkarätig besetzten Spanier immer wieder mal, zuletzt etwa beim 6:1 im Testspiel gegen Argentinien Ende März, doch nie mehr dann, wenn es richtig zählte. Insofern passte es, dass sie am Sonntag im Moskauer Luschniki-Stadion gegen Russland scheiterten, obwohl sie zum 24. Mal in Serie ungeschlagen blieben.

Spanien macht immer noch den Eindruck, keine andere Mannschaft kann den Ball so sicher in den eigenen Reihen zirkulieren lassen und hat elf technisch so tadellose Spieler auf dem Feld. Doch Spanien verbreitet keine Angst mehr. So zu tun, als ob man gefährlich wäre, ist in der Tierwelt ein weit verbreitetes und erfolgreiches Mittel, um Gegner einzuschüchtern. In der kleinen schlauen Fussballwelt wird es aber schnell mal durchschaut.

Das grosse Auge auf dem Schmetterlingsflügel ist bei Spanien das Passen. 1137 Mal spielten sich die Spanier im Achtelfinal den Ball zu, wovon 1031 Pässe den Mitspieler erreichten. Gemäss den Statistikern von Opta ist das ein Rekord, seit 1966 die ersten Werte verzeichnet wurden. Russland hingegen schlug in seinen bisherigen vier WM-Begegnungen nur 1029 Pässe. Das Spiel hat sich verändert, und Spanien wird sich bis zu einem gewissen Grad auch neu erfinden müssen.

«2008, 2010 und 2012 agierten wir auf einem hohen Niveau mit einem Stil, den niemand zuvor praktiziert hatte», sagte Fernando Hierro, der nach der Entlassung von Julen Lopetegui kurzfristig als Nationalcoach eingesprungen war. «Heute haben sich viele Dinge verändert. Jetzt sehen wir, dass Mannschaften mit fünf Verteidigern spielen, was wir für eine vergessene Taktik hielten.» An den neuen Spielsystemen der Gegner wird Spanien nichts ändern können, weiss auch Hierro: «Wichtig ist, dass wir zurück zum Erfolg finden.»

Diese Woche werden sich die Verbandsoberen, die mit der Entlassung von Lopetegui ihren Anteil am schlechten Abschneiden der Mannschaft haben, zusammensetzen und darüber entscheiden, wer die nächste Phase als Nationaltrainer initiieren soll. Hierro hat sich nicht empfohlen und wird wohl auf den Posten als Sportchef zurückkehren. Als neuer Nationaltrainer wird Luis Enrique heiss gehandelt, der zwischen 2015 und 2017 mit dem FC Barcelona neun Titel holte.

Enrique würde für Kontinuität stehen, und danach strebt Spanien trotz den Misserfolgen bei den letzten Turnieren. «Wir haben unsere Identität, und das ist eine gute Sache», versicherte Hierro. Das Tiki-Taka steht offensichtlich nicht zur Debatte, die Qualität der Spieler auch nicht, selbst wenn sich die meisten bei der WM unter Wert verkauften. Es sind taktische Feinheiten, die bereits reichen dürften, um Spanien wieder auf Kurs zu bringen.

veröffentlicht: 3. Juli 2018 05:00
aktualisiert: 3. Juli 2018 06:40
Quelle: SDA

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