Ex-Korrespondentin erklärt

Diese Fragen beschäftigen aktuell die israelische Bevölkerung

· Online seit 09.10.2023, 18:58 Uhr
Die Lage in Israel spitzt sich immer weiter zu. Mittlerweile sind über 700 Menschen gestorben, 2100 wurden verletzt, 130 entführt. Der Angriff der Hamas dauert an. Wie lange noch? Und was wird in den nächsten Tagen passieren? Ex-Israel-Korrespondentin Joëlle Weil im Interview.
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Angst und Trauer – aber vor allem auch Wut

Zur aktuellen Lage erklärt Joëlle Weil: «Die israelische Bevölkerung ist tief erschüttert. Es tönt so simpel, wenn ich das so sage, aber es ist genau das. Es gibt gerade unglaublich viele Emotionen, die durch dieses Land gehen, aber ich glaube, im Fokus steht eine grosse Trauer um die fast 700 getöteten, die über 2000 verletzten Menschen und geschätzt 130 Israelis, die nach Gaza verschleppt wurden. Dazu kommt natürlich eine grosse Angst. Was passiert mit den Entführten? Was passiert mit uns als israelische Bevölkerung? Wo führt das noch hin? Und wie gross ist das Eskalationspotenzial?»

Neben Angst und Trauer ist aber vor allem auch ein Gefühl präsent: Wut. Wut auf die Regierung, die Armee, den Sicherheitsdienst. «Die Regierung hat komplett versagt. Es gibt keine klare respektive gar keine Kommunikation der Bevölkerung gegenüber», sagt Weil. Die grosse Frage, die im Raum stehe, sei: «Wie konnte das passieren?». Viel zentraler für Israel sei es aber nun, zu eruieren, wie viele Hamas-Terroristen sich noch in Israel befinden, was mit den Geiseln passiert und wie sie gerettet werden können, so Weil.

Ist die Regierung überfordert?

Doch weshalb klärt die Regierung nicht auf? Weil sagt: «Ich gehe ganz klar davon aus, dass die Regierung es selber nicht weiss. Die Lage ist dermassen unübersichtlich, der Angriff kam so überraschend, obwohl die Hamas sich nach eigenen Angaben seit Monaten darauf vorbereitete – hier stellt sich die Frage, wie sich die Hamas im Gazastreifen, der ja eigentlich von der israelischen Regierung überwacht wird, unbemerkt so vorbereiten können.»

Dass die Regierung überfordert sein könnte, zeigt sich auch bei der Berichterstattung rund um die Angriffe in Israel. Die Zahl der Toten, die kommuniziert wurde, war nämlich keineswegs eine Angabe der Regierung – sondern eine Schätzung lokaler Medien. Die Armee bat gar einen Nachrichtensender um Hilfe, als es um die Koordination der Situation nach dem Angriff auf das Musikfestival ging.

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Was wird in den nächsten Tagen passieren? 

Wie sich die Lage in den nächsten Tagen entwickeln wird, sei unmöglich vorauszusagen, sagt Weil. «Die Situation ist aktuell sehr unberechenbar. Ich kann keine Prognose stellen, wie es weiter geht, weil ich es schlichtweg nicht weiss – weil es niemand weiss. Alles ist möglich. Israel muss für alles bereit sein.»

Was aber klar ist – das Land leidet. Und mit ihm seine Bevölkerung. «Ich habe mit einer Freundin geredet, die mir erzählt hat, dass ihr Mann, der in einer Stadt direkt neben dem Gazastreifen aufgewachsen ist, gesagt hat, dass er sich das erste Mal schämt, Israeli zu sein», berichtet Weil. «Israel war in den letzten Monaten sehr geteilt. Was Israel aber immer zusammenhielt, war der Sicherheitskorpus – also Geheimdienst und Armee. Dieses Vertrauen ist nun aber sehr erschüttert», so Weil.

Du willst auf dem Laufenden bleiben? In diesem Ticker kannst du die aktuellen Entwicklungen nachverfolgen. 

veröffentlicht: 9. Oktober 2023 18:58
aktualisiert: 9. Oktober 2023 18:58
Quelle: ArgoviaToday

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