Toggenburg

Abenteuer im hohen Norden: Eine Wattwilerin als Profifussballerin in Island

· Online seit 20.09.2021, 11:24 Uhr
Lorena Baumann spielte für den FC Zürich und die Schweizer Nationalmannschaft. Doch die vergangenen Monate verbrachte die 24-Jährige in Island – als vollberufliche Spielerin für den Verein Þróttur Reykjavík. Im Gespräch erzählt sie, wie ihr aussergewöhnliches Island-Abenteuer zustande kam und was sie dort erlebt hat.

Quelle: FM1Today

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Als wäre es nicht schon genug schwierig, als Schweizer Fussballerin Profispielerin zu werden, hat Lorena Baumann aus Wattwil etwas noch Aussergewöhnlicheres fertig gebracht: Die vergangenen fünf Monate spielte die Wattwilerin vollberuflich Fussball – in Island.

Island? Gar nicht so abwegig

Man stelle sich vor, Xherdan Shaqiri oder Yann Sommer würden aus sportlichen Gründen nach Island wechseln, in den hohen und kalten Norden. Im Männerfussball undenkbar. Die Isländer haben zwar in vergangenen Jahren an Europa- und Weltmeisterschaften mit erfrischenden Auftritten (und vor allem auch ihren Fans – Huh!) für Aufsehen gesorgt.

So zelebrierten die isländischen Spieler und Fans ihren Sieg über England an der EM 2016:

Die isländische Männerfussballliga fristet aber ein Schattendasein. Die Liga des Landes mit gut 350'000 Einwohnern ist gemäss Uefa-Fünfjahreswertung nur die Nummer 52 Europas – von 55 Ligen in der Rangliste. So sind beispielsweise die Ligen des Kosovo, Liechtenstein oder Gibraltar noch vor Island zu finden.

Etwas anders sieht es im Frauenfussball aus. «Island ist im Frauenfussball weiter entwickelt als die Schweiz, insbesondere was die finanziellen Voraussetzungen angeht», sagt Lorena Baumann. Generell lege das Land sehr viel Wert auf Gleichberechtigung, was sich im Frauenfussball besonders ausgeprägt zeigt.

Gute Rahmenbedingungen für den Frauenfussball

So kommt es, dass die Ressourcen im Männerfussball nicht reichen, um dauerhaft in der Weltspitze mitzuspielen. Im Frauenfussball jedoch, wo weltweit weniger Geld im Spiel ist, mischen die Nordländerinnen mit den verfügbaren Ressourcen weit vorne mit. Das Männernationalteam Islands liegt derzeit auf Platz 53 in der Fifa-Weltrangliste, jenes der Frauen auf Platz 16 – und damit noch vor der Schweiz, welche auf Platz 20 klassiert ist.

So war der Wechsel auf die Insel für Baumann überhaupt kein Rückschritt. Der Transfer von ihrem langjährigen Verein, dem FC Zürich, zu Þróttur (sprich: frottur) Reykjavík im vergangenen April ermöglichte ihr, einige Monate als Profifussballerin zu leben. Die isländische Meisterschaft kann aufgrund der klimatischen Bedingungen, welche auf der nordischen Vulkaninsel herrschen, ausschliesslich zwischen Mai und September stattfinden. Baumann wechselte also noch während der laufenden Schweizer Meisterschaft nach Reykjavík, damit sie die Saisonvorbereitung mit den Isländerinnen bestreiten konnte.

Highlights auf und neben dem Platz

Es lohnte sich: Die Aussenverteidigerin bestritt 18 Spiele auf isländischem Boden, in welchen sie stets über die vollen 90 Minuten auflief. Am Ende klassierte sich Baumanns Team auf dem dritten Rang. Doch nicht nur in sportlicher Hinsicht berichtet Baumann fast ausschliesslich Positives über Island. «Das Land ist sehr schön und ich hatte relativ viel Freizeit, in der ich Roadtrips machen und mir verschiedene Sachen anschauen konnte.» Besonders in Erinnerung blieb ihr der Ausbruch eines Vulkans im Bergmassiv Fagradalsfjall zu Beginn ihres Aufenthalts – der erste Ausbruch in diesem Gebiet seit 800 Jahren, nur 30 Kilometer von der Hauptstadt Reykjavík entfernt.

Weniger anfangen konnte Baumann mit den isländischen Temperaturen. «Es gibt dort eigentlich keinen richtigen Sommer, obwohl es in den Sommermonaten während 24 Stunden hell ist.» Im Winter ist es dann umgekehrt und mehrheitlich den ganzen Tag über dunkel. «Ich wüsste nicht, ob ich damit klar käme», sagt Baumann.

Vielleicht auch deshalb wird die Saison in Island vorerst die einzige im hohen Norden bleiben. Sicherlich aber auch, weil die 24-Jährige ein Stück weit von der Realität eingeholt wurde. Weil sie ein verlockendes Jobangebot in einer Zürcher Firma erhielt, kehrte sie vorzeitig in die Schweiz zurück, um die neue Stelle anzutreten. Deshalb musste sie die letzte Saisonpartie in Island sausen lassen.

Rückkehr für den Cupfinal

Ganz vorbei ist das Abenteuer Island aber noch nicht. Weil sie sich mit ihrem Team für den isländischen Cupfinal qualifizierte, kehrt Baumann Anfang Oktober nochmals nach Reykjavík zurück, um diesen zu bestreiten.

Das wiederum bringt weitere Konsequenzen mit sich: Weil sie somit das europäische Transferfenster verpasst, kann sie sich nicht direkt wieder einem anderen Team anschliessen – das ist frühestens im Wintertransferfenster im Januar wieder möglich.

Dieser Umstand kommt Baumann gar nicht ungelegen. «Meine Saison war ziemlich lang. Ich spiele jetzt seit einem Jahr praktisch durchgehend Fussball. Ich freue mich, wenn ich mich nun ein halbes Jahr erholen kann.»

Erholung in der Heimat

Ein idealer Ort dafür ist ihre Heimat im Toggenburg. Baumann ist in Wattwil gross geworden, hat dort ihre Fussballkarriere gestartet. Eine fussballerische Rückkehr in die Ostschweiz – beispielsweise zum FC St.Gallen-Staad – ist derzeit für sie kein Thema. Nach Wattwil zu ihrer Familie kehrt sie aber stets gerne zurück. Denn auch wenn Baumann als Fussballerin mittlerweile weit herum gekommen ist, sagt sie: «Wattwil ist immer noch mein richtiges Zuhause und ich freue mich immer, wenn ich hierherkommen kann.»

veröffentlicht: 20. September 2021 11:24
aktualisiert: 20. September 2021 11:24
Quelle: FM1Today

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