Apotheker über Coronazeit

«Für uns war es ein Horror»

· Online seit 05.07.2020, 06:46 Uhr
In der Coronakrise führte Elmar Peretti in seiner Schlüsselapotheke in Rheineck zwischenzeitlich eine Maskenpflicht ein. Wer keine Maske hatte, musste für drei Franken eine kaufen. Er geriet deswegen in die Kritik. Im Interview schaut Elmar Peretti auf die sehr intensiven letzten Monate zurück.
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Elmar Peretti, wie haben Sie die letzten Monate als Apotheker erlebt?

Ich habe die Zeit als Stress-Test erlebt. Die Kantone haben den Pandemieplan 2018 nur halbherzig umgesetzt. Logistik, Maske und Desinfektionsmittel, alles kam viel zu spät. Für uns Apotheker war das ein echtes Desaster. Masken beispielsweise hat es bereits Wochen vor dem Ausbruch der Coronakrise im Februar keine mehr zu kaufen gegeben.

Wie haben Sie gehandelt?

Wir konnten 100 Operationsmasken für den eigenen Bedarf beim Zivilschutz abholen, nachdem sich der Kantonsapotheker für uns eingesetzt hatte. Meine Mitarbeitenden und ich fühlten uns von den Masken des Zivilschutzes aber nicht genügend geschützt. Diese Masken sind als Spuckschutz gedacht. Aerosole, also Flüssigkeitsteilchen, die in der Luft schweben, können mit diesen nicht gefiltert werden. So musste ich handeln und ein Konzept ausarbeiten. Wie komme ich mit meiner Apotheke durch diese Zeit?

Zu welchem Schluss kamen Sie?

Ich liess eine Sicherheitskabine bauen und konnte glücklicherweise Atemschutzmasken aus der Baubranche ergattern. Desinfektionsmittel konnten wir selbst herstellen, auch das war Mangelware. Dass der St.Galler Apothekerverband empfohlen hatte, Kundinnen und Kunden ohne Masken zu bedienen war mir nicht bewusst, da ich nur Mitglied im schweizerischen Apothekerverband bin.

Wenn Sie die Situation jetzt im Nachhinein betrachten: Haben Sie überreagiert?

Ich wurde ein wenig überrollt. Wie politische Institutionen auch. In dieser Zeit gab es viele Unsicherheiten. Die Medienberichte aus Italien, wo Militärlastwagen Särge abtransportierten, verunsicherten auch mich. Mir war es wichtig, meine Angestellten und mich zu schützen. So hatte ich vielleicht ein bisschen einen Tunnelblick und habe dabei die Befindlichkeiten meiner Kunden ausser Acht gelassen. Aber ich habe die Situation halt einfach ernst genommen.

Was bedeutete das für Sie?

Die Belastung in dieser Zeit war extrem hoch. Meine Frau und ich gingen acht Wochen in Selbstisolation. Wir haben Freizeit und Wochenende geopfert, um für unsere Kunden da zu sein. Ferien sind für uns schon lange ein Fremdwort. Irgendwie kam es mir vor wie in der RS. Dauernde Herausforderungen, immer verbunden mit Ungewissheiten. Wenn ich das zusammenfassen will: Für uns war es ein Horror. Ich habe während dieser ganzen Zeit eine FFP2-Maske getragen – zehn Wochen lang, jeden Tag, von morgens bis abends. Machen sie das mal. Das ist wie eine Militärübung mit Gasmasken.

Zurück zur Maskenpflicht, welche zwischenzeitlich in Ihrer Apotheke galt: Wie haben Ihre Kundinnen und Kunden darauf reagiert?

Die Kunden signalisierten mir, dass der von mir eingeschlagene Weg mit den Sicherheitskabinen und der Maskenpflicht richtig war. Einige sagten mir sogar, dass ich der Einzige war, der die Lage wirklich begriffen hatte. Sie waren von den Behörden enttäuscht. Das BAG hat den Nutzen der Masken für die Allgemeinheit am Anfang ja heruntergeredet. Gesamthaft kann ich sagen, dass ich von meiner Kundschaft kaum kritisiert wurde.

Dann wuchs die Kritik mit der Berichterstattung?

Genau. Kritik gab es von anonymen Leuten im Internet. Und im Rahmen der Berichterstattung vom Konsumentenschutz, dem St.Galler Apothekerverband und dem Preisüberwacher. Mir fehlte in diesem Moment die fachliche Auseinandersetzung mit dem Thema. Hätten diese Institutionen bei mir nachgefragt, hätte ich ihnen erklärt, dass ich nicht einfach Wegwerf-Masken abgegeben habe, sondern hochwertige Atemschutzmasken mit Feinstaubflies.

Fühlten Sie sich missverstanden?

Absolut. Aus der Berichterstattung ging nicht hervor, dass die Masken, die ich für drei Franken verkaufte, hochwertige FFP2-Masken waren und nicht einfach normale Hygienemasken. Unter dieser falschen Annahme bildeten sich die Leute wohl eine falsche Meinung. Eine solche Maske der Schutzklasse FFP2 kostet im Einkauf drei bis fünf Franken. Auch die Schutzkabine kostete mich Geld. An der Maskenpflicht Geld zu verdienen, war nie meine Absicht. Ich wollte meine Angestellten und mich schützen.

Aber können Sie nicht verstehen, dass alleine der Zwang, eine Maske zu tragen, viele Leute nicht gut fanden?

Doch, das kann ich schon nachempfinden. Auch das ist meiner Meinung nach aber der Politik des BAG geschuldet. Dieses sagte, dass Masken dazu führen könnten, dass die Leute weniger Abstand halten. Stattdessen hätte man die Leute aufklären sollen, wie man eine Maske richtig trägt. Als Folge davon haben die Leute in der Schweiz überhaupt keine Maskenaffinität. Im öffentlichen Verkehr trägt ja praktisch niemand eine Maske, auch wenn der Sicherheitsabstand nicht eingehalten werden kann.

Wenn man die Entwicklung und die Fallzahlen in der Schweiz betrachtet, kann man aber sicher nicht sagen, dass das BAG komplett falsch gehandelt hat.

Der Haupteffekt erfolgte meiner Meinung nach durch den Lockdown. Dass war eine sehr intensive Massnahme, die den Staat ja viele Milliarden Franken kostet. Die Schweiz hat sicher vieles richtig gemacht. Eine Auswertung sieht die Schweiz ja sogar auf Position eins, in Zusammenhang mit der Coronakrise. Die haben dafür jede Menge Kriterien untersucht. Beim Subsektor Masken hat die Schweiz wahrscheinlich nicht so gut abgeschnitten. Alles in allem denke ich, die Schweiz handelt sehr sozial.

Was bedeutet die Coronakrise für ihre Apotheke finanziell?

Wir haben vom Marktforschungsinstitut IMS einen Bericht vorliegen. Dieser besagt, dass kleine Apotheken wie meine im April und Mai rund 50 Prozent weniger Umsatz hatten. Wir haben deshalb im April und Mai auch Kurzarbeit gehabt. Im Juni haben wir noch einen Umsatzrückgang von rund einem Drittel. Im März lief es noch gut, sehr gut sogar. Das wird den April und Mai ein bisschen auffangen. Die negative Berichterstattung spielte für den Umsatz, wenn überhaupt, nur eine marginale Rolle.

Hat sich die Situation in der Apotheke mittlerweile normalisiert?

Mit dem Abflachen der Fallzahlen entspannte sich die Situation, parallel zu den Lockerungen des Bundes. Im Juni habe ich die Sicherheitskabine abgebaut und verlange nicht mehr, dass diejenigen, die meinen Laden betreten, eine Maske tragen. Wir haben nun noch eine Plexiglasscheibe und Bodenmarkierungen, damit die Leute genügen Abstand haben.

Auf Apotheken gemünzt: Welche Lehren sollten Ihrer Meinung nach aus der Krise gezogen werden?

Die Situation der Apotheken im Falle einer Pandemie muss dringend überdenkt werden von den politischen Behörden. Es kann nicht sein, dass Apotheken zwar als Grundversorger gelten, aber nicht als Gesundheitsfachleute angesehen werden. Es kann nicht sein, dass Apotheken im Pandemieplan nicht unter den Schutzhut der Logistik fallen. Auch eine behördliche Anordnung für eine Maskentragpflicht in der Apotheke sollte nicht fehlen. Wenn man in die USA schaut, haben sie das jetzt echt begriffen. Die US-Gouverneure haben die Apotheken mit vielen Kompetenzen ausgestattet, beispielsweise auch für Covid-Tests. Sie haben erkannt: In der Pandemiezeit sind praktisch nur noch die Apotheken wirklich zugänglich für die Öffentlichkeit, was die medikamentöse Versorgung und Beratung betrifft. In Arztpraxen kommt man nur nach telefonischer Voranmeldung, aber Apothekerinnen und Apotheker stehen an vorderster Front. Etwa 30 Prozent aller Apotheken in der Schweiz sind kleinere Apotheken, zum Teil Dorfapotheken, wie meine. Sie sind wichtige Anlaufstellen für Personen, die nicht gut zu Fuss sind oder den öV nicht nutzen können. Das müssen die Kantone jetzt erkennen. Eine nächste Pandemiewelle überleben die kleinen Apotheken allenfalls nicht.

veröffentlicht: 5. Juli 2020 06:46
aktualisiert: 5. Juli 2020 06:46
Quelle: FM1Today

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