Arbeiten bei der Stadt

«Personen im öffentlichen Dienst sollen diskriminierungsfrei angestellt werden»

11.04.2022, 07:58 Uhr
· Online seit 11.04.2022, 06:36 Uhr
Die Städte stellen nicht alle ihre Mitarbeitenden nach Personalrecht an, viele sind nach OR oder im Stundenlohn angestellt. Für die Städte ist das zwar praktisch und kosteneffizient, für Angestellte bringt das viele Nachteile. Die Gewerkschaft ist alarmiert.
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Städte und Kantone haben den Ruf, gute Arbeitgeber zu sein. Der Arbeitsplatz ist sicher und die Anstellungsbedingungen in den meisten Fällen sehr gut. Von diesen guten Anstellungsbedingungen profitieren jedoch längst nicht alle Stadtangestellten.

Wer nicht im Personalrecht arbeitet, verliert 

Die Ostschweizer Städte beschäftigen ihre meisten Angestellten im Personalrecht, welches jede Stadt individuell festlegt. Ein nicht zu vernachlässigender Teil ist aber auch nach dem Obligationenrecht (OR) oder im Stundenlohn angestellt. Solche Verträge werden unter anderem in der Reinigung, im Theater, der Bibliothek, in Museen und im Gesundheitsbereich angewendet.

Die Städte profitieren von solchen Anstellungen, sagt Kurt Altenburger, Gewerkschaftssekretär des Schweizerischen Verbands des Personals öffentlicher Dienste (VPOD) Schaffhausen, auf Anfrage. Die öffentliche Hand verspreche sich dadurch eine administrative Entlastung. «Die Auflösung eines Arbeitsverhältnisses im OR ist schneller möglich. Zudem müssen bei den OR- und Stundenlohnverträgen gewisse finanzielle Leistungen nicht erbracht werden.»

Konkret fallen Zulagen für Nacht- und Sonntagsdienste weg. Es gibt weder eine gesicherte systematische Lohnentwicklung noch eine finanzielle Anerkennung der gewonnenen Erfahrung. Auch betreffend Mutter- und Vaterschaftsurlaub sind die Angestellten schlechter gestellt.

Stadt Schaffhausen soll über die Bücher

Wie die «Schaffhauser AZ» schreibt, hat die Schaffhauser SP in zwei Postulaten die Überprüfung der Arbeitsbedingungen für Angestellte nach OR und im Stundenlohn gefordert. In der Munotstadt betrifft das 260 Menschen von gesamthaft 1300 Stadtangestellten.

Auf Nachfrage der Zeitung betont der Schaffhauser Stadtrat Peter Neukomm, dass die Anstellungsbedingungen für OR-Angestellte in den letzten Jahren verbessert worden seien. So sei in den letzten Jahren etwa der Anspruch auf Vaterschaftsurlaub und Ferientage erhöht worden.

So sieht es im FM1-Land aus

Wie steht es um die Stadtangestellten im FM1-Land? Auf Nachfrage haben wir folgende Daten bekommen:

Stadt St.Gallen

Bei der Stadt St.Gallen sind 2371 Personen angestellt. 134 nach OR, 113 im Stundenlohn, 38 davon in öffentlich-rechtlichen Anstellungsverhältnissen. Die Menschen arbeiten gemäss der Stadt in der Tagesbetreuung, in den Sozialen Diensten, Schulgesundheit, in den Verkehrsbetrieben, im Polizeidienst, in der Stadtbibliothek oder geben Deutschunterricht für Mütter.

Stadt Frauenfeld

Die Stadt Frauenfeld beschäftigt rund 700 Mitarbeitende. Nach OR angestellt werden Lernende und Praktikanten sowie fünf Mitarbeitende des Abwasserverbandes Region Frauenfeld und eine Person der Regio Frauenfeld.

Im Stundenlohn angestellt sind rund 100 Aushilfen sowie Personen, denen die Stadt aufgrund der betrieblichen Bedürfnisse kein fixes Arbeitspensum anbieten könne. Dabei handle es sich beispielsweise um Servicepersonal, das im Casino auf Abruf zur Verfügung steht, um Betreuende im Kinderhort des Amtes für Gesellschaft und Integration oder um Springerinnen und Springer im Alterszentrum Park.

Stadt Chur

Die Stadt Chur beschäftigt 1422 Mitarbeitende. Darin enthalten sind Aushilfen, Lernende, Praktikanten, niederschwellige Arbeitsplätze, Mitarbeitende im Stundenlohn oder auf Abruf.

92 Mitarbeitende sind im Stundenlohn angestellt, davon erhalten 75 keinen sogenannten Stufenanstieg und 17 erhalten einen. Beim Stufenanstieg wird der Lohn bei mindestens einer guten Gesamtbeurteilung des Angestellten, jeweils auf Beginn des Kalenderjahres um die nächste Stufe erhöht.

Die 92 Angestellten sind gemäss Stadt Chur mehrheitlich Aushilfen, welche bei Ausfällen von festangestellten Mitarbeitenden im Bereich Reinigung und Sport einspringen.

88 Mitarbeitende sind im Monatslohn angestellt, haben aber einen fixen Lohn. Sie erhalten keinen Stufenanstieg. Dabei handle es sich um Reinigungspersonal.

Anzahl der OR-Verträge «eindeutig zu hoch»

Anstellungen nach Obligationenrecht oder im Stundenlohn ergeben in gewissen Fällen durchaus Sinn. Beispielsweise wenn die Anstellung befristet ist. Der Schweizerische Verband des Personals öffentlicher Dienste (VPOD) steht den Anstellungspraxen der Städte allerdings kritisch gegenüber. «Bei der öffentlichen Hand wird im Grundsatz das öffentliche Personalrecht angewandt. Wenn nun Bund, Kantone, Städte und Gemeinden die Mitarbeitenden mit OR-Verträgen anstellen, wird vom Grundsatz abgewichen. Diese Abweichung ist nicht begründbar. Jede Anstellung kann mit dem öffentlichen Personalrecht geregelt werden», sagt Kurt Altenburger, Gewerkschaftssekretär der VPOD Schaffhausen.

Den Anteil an Personen, die bei den Ostschweizer Städten nicht nach Personalrecht angestellt sind, findet die VPOD «eindeutig zu hoch». Die Gewerkschaft vertritt die Meinung, dass die OR- oder die Stundenlohnanstellung im öffentlichen Dienst nachteilig ist.

Städte sehen keine Dringlichkeit

Chur ist die einzige Stadt, die auf Anfrage von FM1Today angibt, eine Anpassung bei der Entschädigung der Reinigungspersonen bei der Teilrevision der Personalverordnung prüfen zu wollen. Die Stadt St.Gallen stellt sich als Arbeitgeberin bezüglich Attraktivität gute Noten aus: «Dadurch, dass wir den Personen ermöglichen, flexibel im Stundenlohn zu arbeiten oder ihr Praktikum bei uns zu absolvieren, sind wir bereits ein attraktiver Arbeitgeber.» Die Stadt unterscheide nicht zwischen privatrechtlichen und öffentlich-rechtlichen Anstellungen.

Für die Gewerkschaft VPOD ist klar: «Mitarbeitende im öffentlichen Dienst sollen nach gleichen Massstäben und diskriminierungsfrei angestellt werden. Es soll bei jedem Arbeitsvertrag das öffentliche Personalrecht angewendet werden.»

veröffentlicht: 11. April 2022 06:36
aktualisiert: 11. April 2022 07:58
Quelle: FM1Today

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