Erfahrungsbericht

Spargelstechen für Bürogummis: Strenge Büez oder willkommene Abwechslung?

27.04.2020, 14:35 Uhr
· Online seit 27.04.2020, 06:51 Uhr
Inesteche, abedrucke, usäzieh, is Chischtli tue: Fast so einfach wie Stricken geht das Spargelstechen. Mit ein bisschen Übung und Fingerfertigkeit hat man den Dreh schnell raus. Doch wie anstrengend ist der Job der Saisonniers und können ihn auch Bürogummis in Kurzarbeit machen? Wir machen den Selbsttest.
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Arbeitsbeginn ist um 6 Uhr, zusammen mit der Sonne gehen die Spargelstecherinnen und Spargelstecher auf dem Fahrmaadhof in Diepoldsau an die Arbeit. Dieses Jahr sind unter ihnen nebst den üblichen Gastarbeitern aus Vorarlberg auch Servicefachkräfte, Köchinnen und Angestellte aus dem Tourismus, die wegen des Coronavirus momentan in der Kurzarbeit sind – und, zumindest heute – auch ich.

«Weil einige, die von weiter her kommen würden, dieses Jahr ausfallen, sind wir froh um die kurzfristige Hilfe aus der Umgebung», sagt Betriebsleiter Simon Lässer. Doch wie anstrengend ist die Arbeit auf dem Feld für einen Bürogummi? Diese Frage will ich euch beantworten.

Quelle: FM1Today

«Übung macht den Meister»

Überwacht von den kritischen Augen des Chefs schnappe ich mir also einen Karren, der über die Erntereihen fährt, ein Spargelmesser und eine Kiste für die Ernte. Die Handgriffe sind eigentlich schnell erklärt: Sieht man eine weisse Spargelspitze aus dem Hügel ragen, gräbt man sie erst aus, dann sticht man mit dem speziellen Messer neben der Spargel ein und schneidet sie sozusagen in der Erde einmal durch, bevor man sie herausdrückt und in die Kiste legt.

Schnell wird mir aber klar, bis man hier richtig schnell vorwärts kommt, braucht es viel Übung. «Eine geübte Hand schafft rund zehn Kilo Spargel pro Stunde», sagt mir Simon. Ich bin froh, wenn ich am Ende ein Kilo in der Hand halte.

50 bis 60 Frauen und Männer sind momentan auf dem Betrieb im Einsatz und helfen bei der Ernte. Neben dem weissen Spargel wird auch der grüne Spargel zurzeit geerntet. «Die Pflanze ist die gleiche, nur, dass der grüne Spargel nicht abgedeckt wird. So bildet er Chlorophyl, das verleiht ihm die grüne Farbe», sagt Simon Lässer. Die Spargelpflanzen wachsen rund zehn Jahre, dann müssen sie aussortiert und neu angepflanzt werden.

Rückenschmerzen vorprogrammiert

Jede Reihe muss täglich abegangen werden. Die Spargeln wachsen bis zu zehn Zentimeter am Tag, sie schiessen also förmlich aus dem Boden. Kommen die Spitzen an der Plane an, können sie verbiegen und verbrennen, sodass sie nicht mehr verkäuflich sind.

Vorsichtig laufen wir also die Reihen ab. Alle paar Meter spriesst ein Spargelköpfchen aus der Erde, da bleiben wir stehen und ich bücke mich, um den Spargel aus den Boden zu ziehen. Ende April, am Morgen um 9.30 Uhr, ist das Arbeiten bei Sonnenschein angenehm und mein junger Rücken fühlt sich auch nach einer Stunde noch gut an. Nach zehn Stunden bei strömendem Regen oder bei 30 Grad auf dem Feld, kann ich mir aber gut vorstellen, dass einen alles schmerzt und man sich nichts sehnlicher wünscht, als eine heisse Badewanne oder eine kalte Dusche.

Nur die Schönen dürfen in den Verkauf

Weiter geht es die nicht enden wollende Reihe hinab. Wir ernten alle Spargeln, egal ob dick oder dünn, gerade oder ein wenig krumm. «Sortiert werden sie später, zu dicke oder zu dünne Spargeln werden als zweite Klasse verkauft», sagt Simon Lässer.

Gerade will ich ein ganz besonders schönes Exemplar aus dem Boden ziehen – knack – da bricht mir die Spitze ab. «Ja, das ist jetzt nicht so gut. Jetzt musst du den Rest der Spargel doch noch aus dem Boden ziehen, die verarbeiten wir dann zu Suppe», sagt der Chef.

Die meisten Feldarbeiter kommen jedes Jahr wieder

Während ich gerade mal in der Mitte meiner Reihe stehe, sind die anderen schon fast bei der nächsten angekommen. Die meisten Arbeiterinnen auf dem Feld kommen aus Vorarlberg und sind türkischstämmig, sie dürfen dank ihrem Grenzgänger-Ausweis weiterhin täglich nach Diepoldsau kommen. Sie alle arbeiten schon viele Jahre auf dem Fahrmaadhof und sind damit wertvolle Mitarbeitende für den Betrieb. «Bis man das Spargelstechen richtig im Griff hat, dauert es etwa eine Saison», sagt Simon Lässer.

Die Spargeln werden von April bis zum 21. Juni, dem längsten Tag des Jahres, geerntet. «Danach spriessen sie auf zu Bäumen, um Energie zu tanken für das kommende Jahr», sagt Simon Lässer. Doch auf dem Fahrmaadhof geht die Ernte dann weiter, unter anderem bei den Beeren.

Abstandsregeln können nur schwer eingehalten werden

Die geernteten Spargeln kommen vom Feld direkt in eine Halle, wo sie weiterverarbeitet werden. Durch ein spezielles Kühlsystem mit Eiswasser können sie dort mehrere Tage lagern, bevor sie abgepackt werden. Die Spargeln werden gewaschen, sortiert und dann für den Hofladen oder die Grossverteiler gebündelt. Ein Grossteil kommt normalerweise in die Gastronomie, also zu Restaurants. «Hier haben wir natürlich einen riesigen Einbruch, weil die Nachfrage durch die geschlossenen Restaurants einbricht. Wir merken aber, dass viele Leute vor allem in den Hofläden und im Supermarkt mehr Spargeln kaufen, sodass wir die Ernte vermutlich zu 70 bis 80 Prozent wegbringen», sagt der Betriebsleiter.

Auf dem Feld sind die Arbeiterinnen und Arbeiter in getrennten Reihen unterwegs, in der Halle aber arbeiten sie Seite an Seite, die Hygienemassnahmen und Abstandsregeln des Bundes sind hier nur schwer einzuhalten. «Wir versuchen es aber so gut es geht und empfehlen den Leuten, dass sie in ihrer Freizeit auf Kontakt mit anderen womöglich verzichten», sagt Simon Lässer.

Während ich nach ein paar Stunden auf dem Feld meine Hände wasche und wieder in meine Converse schlüpfe, arbeiten sich die Spargelstecher den Rest des Tages Reihe für Reihe weiter, nur, um am nächsten Tag wieder von vorne zu beginnen.

veröffentlicht: 27. April 2020 06:51
aktualisiert: 27. April 2020 14:35
Quelle: FM1Today

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