Fairtrade

Frauenfelder Bananenfrauen: «Warum ist eine Banane billiger als ein Apfel?»

· Online seit 05.03.2023, 06:23 Uhr
Mit einer scheinbar einfachen Frage entstand in Frauenfeld vor 50 Jahren die Schweizer Fairtrade-Bewegung. Die «Bananenfrauen aus Frauenfeld» kämpften im März 1973 gegen die Ausbeutung der Arbeiterinnen und Arbeiter im globalen Süden.
Anzeige

Es war der März 1973. Der US-Dollar stürzte ab. Waren wurden plötzlich viel günstiger – und die Migros reagierte. Sie senkte den Preis für Bananen und verkaufte es als «Bananen-Wunder».

Ein Wunder, das nicht überall gleich gut ankam. Denn in Frauenfeld gab es eine Gruppe von Frauen, die hier das Unrecht hinter dem vermeintlich günstigen Angebot sah. Sie stellten die Frage: «Warum ist eine Banane billiger als ein Apfel?» 

Scan den QR-Code

Du willst keine News mehr verpassen? Hol dir die Today-App.

Die Bananenfrauen, so nannten sie sich selbst, hatten keine politische Organisation im Hintergrund, auch wenn eine der Gründerinnen selbst politisch aktiv war: Die Thurgauerin Ursula Brunner, die 1972 als erste Frau der FDP in den Grossen Rat gewählt wurde.

Migros: «Falsches Mitleid»

Für ihr Anliegen hatten die Bananenfrauen konkrete Forderungen. Die Detailhändler sollen einen symbolischen Aufpreis von 15 Rappen pro Kilo Bananen verlangen und damit Entwicklungsprojekte finanzieren.

Die Antwort der Migros: «Wir sind keine Wohltätigkeitsinstitution.» Den Bananenfrauen wurde vorgeworfen, «Aggressionen gegen Multis zu schüren», sie würden sich «in Utopien versteigen» und hätten «falsches Mitleid für Bananenpflanzerinnen und -pflanzer».

Doch die Bewegung war nicht mehr aufzuhalten. Weitere Frauen – und auch ein paar Männer – schlossen sich den Bananenfrauen an. Es entstanden überall neue Gruppen, die das Unrecht ebenfalls nicht mehr einfach so akzeptieren wollten.

Das erste Gütesiegel für Fairtrade

Sie beliessen es aber nicht nur dabei, Forderungen zu stellen oder die Missstände zu benennen. Sie wurden selbst aktiv. Die Bananenfrauen kauften normale Chiquita-Bananen bei den Grossverteilern und verkauften sie mit einem Aufpreis weiter. Ihre Früchte wurden mit einem Aufkleber mit einer schwarzen Hand markiert – das erste Gütesiegel für Fairtrade in der Schweiz. Die Mehreinnahmen kamen Projekten für Arbeiterinnen und Arbeiter in Mittelamerika zugute.

Damit gaben sich die Bananenfrauen noch nicht zufrieden, sie wollten mehr: Eigene Bananen, keine Abhängigkeiten von Grossverteilern. Lange mussten sie darauf warten.

Ab 1976 reiste Brunner jedes Jahr nach Zentralamerika. Sie knüpfte Kontakte. Schon bei ihrem ersten Besuch durfte sie an einer Konferenz für bananenexportierende Staaten teilnehmen. Dort begegnete sie Ministern. Später sagte sie darüber: «Ich zitterte vor Angst. Ich war nur eine Hausfrau, die nicht einmal eine Visitenkarte hatte.»

«Nicas statt Chiquitas»

Bis erneut die US-Wirtschaft – wie bei der Gründung der Bananenfrauen – eine entscheidende Rolle spielte.

Die USA erlaubten ab 1986 wieder den Handel mit Nicaragua. Der Markt war damit für die ganze Welt offen. Und die Bananenfrauen sahen ihre Chance. Sie gründeten die «Arbeitsgemeinschaft für gerechten Bananenhandel» und importierten die ersten «richtigen» Fairtrade-Bananen in die Schweiz. Verkauft wurden sie unter dem Motto «Nicas statt Chiquitas».

Der Markt war da und schon bald schlossen sich weitere Organisationen der Gemeinschaft an. Mittelamerika war nicht mehr das Zentrum der Bemühungen, es wurde global gedacht: Lateinamerika, Afrika, Asien – von überall wurden «faire» Produkte in die Schweiz geholt.

Die ganze Welt verändern

Und plötzlich ging es nicht mehr nur um Fairtrade. Die ganze Welt sollte verändert werden. Die Banane wurde zum Symbol, wie die reiche Schweiz von der Ausbeutung des globalen Südens profitiert.

Der Erfolg der Nica-Banane zeigte, dass mehr möglich war. Ursula Brunner sagte später: «Wir haben Selbstvertrauen und Selbstbewusstsein gewonnen. Dinge, die wir Frauen damals nicht hatten.»

Doch ganz so einfach konnte die Welt nicht verändert werden. Denn die Produzenten wollten mehr verkaufen, Fairtrade war jedoch ein Nischenmarkt. In diese Bresche sprang 1992 das Max-Havelaar-Label, das in Basel gegründet wurde. Die Bananenfrauen lösten sich auf. Durch die neue Organisation wurde ein wichtiges Anliegen der Frauen doch erfüllt: Fairtrade fand den Weg in die Regale der Grossverteiler, unterdessen auch der Migros.

Kampf gegen die Aufrüstung

Brunner engagierte auch ausserhalb des fairen Handels für eine gerechtere Welt, sie wehrte sich gegen die Armee, dann «zwischen den Waffen bei uns, die letztlich unseren Wohlstand und Besitz verteidigen, und der Angst und Bedrohung, der Besitzlosigkeit jener Menschen, denen ich in den Armenvierteln und Monokulturplantagen begegnet bin, besteht ein Zusammenhang».

Ihrer Partei passte das gar nicht, die FDP wollte Brunner ausschliessen, was bei der Basis aber nicht durchkam. 1984 wurde sie aber nicht mehr zur Wiederwahl aufgestellt.

Vermächtnis lebt weiter

2015 blickte die damals 90-jährige Ursula Brunner in der «Thurgauer Zeitung» mit gemischten Gefühlen zurück. Fairtrade sei eine Institution geworden, sie bemängelte die Bürokratie. Auch wenn heute alle wissen, wie schlecht die Arbeitsbedingungen seien, würden trotzdem möglichst günstige Produkte gekauft. Ein richtiges Umdenken hat nicht stattgefunden.

Brunner starb am 23. März 2017. Das Vermächtnis der Frauenfelderin und «ihrer» Bananenfrauen lebt weiter: In vielen Fairtrade-Organisationen und der Marke «Gebana» – der Nachfolgeorganisation der «Arbeitsgemeinschaft für gerechten Bananenhandel», die heute weit mehr als nur fair gehandelte Bananen aus Nicaragua in die Schweiz importiert.

veröffentlicht: 5. März 2023 06:23
aktualisiert: 5. März 2023 06:23
Quelle: FM1Today

Anzeige
Anzeige