Lichtensteig

Toggenburgerin fertigt trendige Röcke aus alten Vorhängen

05.11.2019, 16:48 Uhr
· Online seit 05.11.2019, 10:38 Uhr
Bei Sarah Brümmer erhalten alte Stoffe eine zweite Chance. Die 22-jährige Schneiderin fertigt Kleider aus alten Vorhängen, Bettlaken oder gar Schlafsäcken an. Nachhaltig zu schneidern, ist ihr wichtig – und das kommt bei den Kundinnen an.
Anzeige

Sarah Brümmers Laden sieht aus wie eine Kunstgalerie. Die Räume sind verwinkelt, die Wände mit Zeichnungen und Malereien verziert, überall hängen Bilder und mittendrin die Kreationen der 22-Jährigen – ausgestellt, als ob es Kunstobjekte wären, bewusst drapiert und in Szene gesetzt, passend zum Interieur des jeweiligen Raumes.  

Spuren der Vorbewohner an den Wänden

Im zweiten Stock eines Abbruchhauses an der Schleusenstrasse in Lichtensteig verkauft Sarah Brümmer ihre Kleider. Die alte Wohnung, die nun ihr Geschäft ist, hat schon zahlreiche andere Künstler, Musiker und Freigeister beherbergt. «Ich weiss gar nicht, wer alles schon hier gewesen ist, aber mir gefällt es, dass man noch ihre Spuren sieht», sagt Brümmer. Die Spuren sind zum Beispiel Kohle-Zeichnungen an den Wänden. «Das ist etwas heikel wegen meiner Kleider, aber ich stelle sie einfach etwas weiter von den Wänden weg.» 

Am Wochenende nach dem Lehrabschluss selbständig gemacht

Brümmer wirkt unbeschwert und lacht oft, wenn sie erzählt. Geboren ist die 22-Jährige in Berlin, aufgewachsen aber in St.Gallen. Seit einigen Jahren wohnt sie in Lichtensteig in einem «Tiny House», einem Wagen, der bei einer alten Fabrikhalle steht, wo sie zusammen mit weiteren Leuten lebt. 

Direkt nach der Lehre als Schneiderin hat sie sich mit ihrem Label «Schneiderin» selbständig gemacht. Zweieinhalb Jahre ist das her. «Ich habe schon als Kind gewusst, dass ich meine eigenen Kleider designen will. Gleich am ersten Wochenende nach der Lehre habe ich damit angefangen. Etwas anderes kam gar nicht infrage.»

«Die Welt ist voller Dinge, die nicht mehr gebraucht werden»

Was ihr von Anfang an wichtig war: nachhaltig zu schneidern und Materialien zu verwenden, die «schon da sind», wie Brümmer sagt. Ihre Kleider bestehen aus alten Vorhängen, Bettlaken, Polsterbezügen oder Schlafsäcken – für jeden erdenklichen Stoff findet sie Verwendung. «Unsere Welt ist voller Sachen, die nicht mehr gebraucht werden. Genau so ist es mit den Stoffen. Ich finde es unnötig, neue Stoffe zu verwenden, für deren Produktion wieder viel Energie benötigt wird.»

Alte Stoffe finden mittlerweile von alleine zu Brümmer

Zudem ist es günstiger. Die Stoffe, die die 22-Jährige für ihre Kleider braucht, bekommt sie oft geschenkt. «Viele Leute, gerade ältere Menschen, haben zum Beispiel noch alte Vorhänge oder sonstige Stoffe zu Hause, die oft noch in einem super Zustand sind.» Dass diese bei Sarah Brümmer eine neue Verwendung finden, scheint sich herumgesprochen zu haben. Immer wieder würden Leute an sie herantreten und ihr Tücher, Bezüge, alte Kleider, Jutesäcke oder Laken anbieten.

Sarah Brümmer schlendert durch ihren Laden, während sie spricht, und bleibt schliesslich vor einer Jacke stehen. Kurz geschnitten, schwerer, glitzernder Stoff in grünen und violetten Farben, prunkvolle Knöpfe zieren die Vorderseite. «Die habe ich von einer Knopfsammlerin bekommen. Ich finde diese Knöpfe super. Ich will die Jacke auch gar nicht verkaufen. Die behalte ich für mich», sagt Brümmer und lächelt verschmitzt. 

Nicht nur Stoffe, sondern Geschichten geschenkt

Wie sie weitererzählt, stiehlt sich ein verträumter Ausdruck auf ihr Gesicht. «Ich bekomme von den Leuten nicht nur die Stoffe und Materialien, sondern auch Geschichten. Sie sagen mir, was sie zum Beispiel mit den alten Vorhängen oder Kleidern verbindet. Das fasziniert und inspiriert mich.»

Inspiration seien aber in erster Linie die Stoffe selbst. Brümmer schneidert vorwiegend Frauenkleider. Die Art, der Schnitt und die Menge des Stoffes gäben vor, wie das Kleidungsstück später aussieht. Eingebungen und Ideen fände sie aber überall. Was sie gerade fasziniert und beschäftigt, trägt die 22-Jährige auf einer Tafel im Gang ihres Ladens zusammen. «Inspiration» steht in grossen Lettern zuoberst auf der Tafel. 

«Leben besteht nicht nur aus Arbeit»

Mittlerweile arbeitet Brümmer an ihrer fünften Kollektion. 30 Stück sind in der Produktion. Angefangen habe sie vor zweieinhalb Jahren mit gut 15 Stücken. Die Nachfrage sei gross. «Den Leuten scheinen die Kleider irgendwie zu gefallen», sagt sie und lächelt beinahe etwas scheu. Brümmer will aber nicht immer noch mehr schneidern. 30 Stück pro Kollektion sei die Obergrenze. Gut 1000 Franken pro Monat kann sie mit ihren Kleidern verdienen. Das reicht ihr zum Leben. «Das Leben dreht sich schliesslich nicht nur darum, zu arbeiten.» Dazu passt auch, dass Brümmer ihren Laden nur jeweils am letzten Samstag im Monat öffnet. Zusätzlich arbeitet sie auch auf Auftrag und fertigt massgeschneiderte Kleider an. Ihre neuste Kollektion präsentiert sie am 30. November an einer Vernissage in ihrem Laden in Lichtensteig.

veröffentlicht: 5. November 2019 10:38
aktualisiert: 5. November 2019 16:48
Quelle: FM1Today

Anzeige
Anzeige