Ostschweiz

Der Bodensee verändert sich – Tragödie für Berufsfischer, aber nicht für Hobbyangler

Bodensee

Veränderung im Bodensee – Tragödie für Berufsfischer, aber nicht für Hobbyangler

· Online seit 06.05.2024, 06:17 Uhr
Quaggamuschel, Stichling, Kormoran – die Fischbestände des Bodensees sind von vielen Seiten unter Druck. Doch gewisse Arten profitieren auch von der Situation im See. Und manche sind für Angler alles andere als uninteressant.
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Die Berufsfischerei am Bodensee ist heute eine totgesagte Berufsart. Mit den Erträgen sinkt die Anzahl der hauptberuflichen Fischer und auf den kommerziell bedeutendsten Fisch, den Felchen, darf gar nicht mehr gefischt werden.

Auch manche Angelfischerin wünscht sich die guten alten Zeiten zurück, als der Ertrag nur durch die Grösse des mitgebrachten Eimers beschränkt war. Doch heute, mit einem See, der von Quaggamuscheln, Stichlingen und Kormoranen heimgesucht wird?

Die fetten Jahre sind vorbei, da scheinen sich vor allem ältere Fischer einig. Dabei ist der Nachwuchs stabil und die Perspektiven gar nicht so schlecht.

«Man muss heute mehr Zeit pro Fang aufwenden», sagt Philipp Vetsch, Präsident des Rorschacher Fischereivereins, «viele der Älteren wollen darum nicht mehr auf den See. Aber es kommen durchaus Junge nach, die motiviert sind.»

«Situation ist völlig anders»

Im Gegensatz zu den Berufsleuten haben die Angelfischer einen gewissen Vorteil, sagt Fischereiaufseher Jörg Schweizer, vom St.Galler Amt für Jagd und Fischerei: «Ihre Situation ist völlig anders, es gibt keinen ökonomischen Druck. Für Angelfischer steht das Naturerlebnis im Vordergrund, weniger der Fang an sich. Ich habe den Eindruck, dass gerade der Erholungsfaktor heute immer wichtiger wird.»

Und der Bodensee sei ein Naherholungsgebiet par excellence. Trotzdem sei klar, dass auch eine Angelfischerin grundsätzlich etwas fangen will. «Auch das ist am Bodensee immer noch sehr gut möglich. Man muss sich natürlich damit auseinandersetzen und die richtigen Plätze und Methoden kennen», sagt Schweizer.

Profiteure der Plage 

Grundsätzlich ist die Situation im grössten Trinkwasserreservoir Europas nicht wünschenswert. Die Quaggamuschel hat den grossen See im Nu erobert, auch der Stichling ist eine Belastung für das Gleichgewicht im Bodensee. Laut einer neuen Studie macht der kleine, nicht heimische Raubfisch mittlerweile über 80 Prozent der Fische im See aus.

Die Ausbreitung der Quaggamuschel bedeutet allerdings auch ein fast unbegrenztes Nahrungsangebot für das Rotauge, das die Muscheln knacken kann. Spätestens seit dem Felchen-Fangverbot wird der früher aufgrund seiner Gräten verschmähte Fisch kommerziell stark beworben.

Das Rotauge ist aber nicht nur für die Berufsfischerinnen als Ersatz-Brotfisch interessant, sondern auch für Angelfischer, sagt Schweizer: «Das Rotauge ist bei den Anglern noch nicht etabliert. Das Potenzial ist allerdings gross, die Bestände sind trotz der stärkeren Befischung am Wachsen.»

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Den Hecht freut's 

Und wenn man sich die Nahrungskette im Bodensee anschaut, werden weitere Profiteure schnell sichtbar. Hechte fressen gerne Rotaugen – und sind selbst bei Fischern sämtlicher Gattungen äusserst beliebt. «Nach Hechten wurde bereits in der Vergangenheit stark gefischt – und die Bestände nehmen trotzdem weiter zu», sagt Schweizer.

Hechte betrachtet auch Philipp Vetsch, Präsident des Rorschacher Fischereivereins als grosses Potenzial. Genauso wie andere Raubfische: «Viele fischen neben dem Hecht auf Egli und Zander und auch auf Wels. Von denen gibt es sehr viele.»

«Der Kormoran hat eine Existenzberichtigung»

Eine Mitschuld am gestörten Gleichgewicht im Bodensee ist dem Kormoran anzurechnen. Die Vögel entnehmen dem See etwa gleich viel Fisch wie die Berufsfischer. Freilich ohne sich an Schonzeiten, Masse oder Fangverbote zu halten.

«Der Kormoran hat wie jeder andere Zug- und Wasservogel eine Existenzberechtigung, das ist ganz klar. Das Problem ist: Die Statistiken zeigen nur in eine Richtung», sagt Jörg Schweizer. Früher sei der Kormoran eine absolute Randerscheinung gewesen, heute gebe es mehrere tausend Tiere über das Jahr verteilt.

«Hier reden wir nicht mehr von einem ökologischen Gleichgewicht. Für mich ist es nicht nachvollziehbar, dass der Kormoran am Bodensee so stark geschützt ist. Man müsste die Jagd meiner Ansicht nach ausweiten oder bereits bei der Brut eingreifen», sagt Schweizer.

Massenhaft Möglichkeiten

Ohne Zweifel, der Bodensee sieht sich mit vielen Herausforderungen konfrontiert. Abgesehen von invasiven Arten und zu vielen Zugvögeln ist er nährstoffarm und gilt als zu sauber. Ob sich die Felchen durch das Fangverbot werden erholen können, ist unsicher.

Aber ist der Bodensee wirklich eine blaue Wüste, wie die Süddeutsche schreibt? Dieser Eindruck entstand in letzter Zeit sicherlich. Doch er gilt nicht für alle gleichermassen. «Mir fehlt bei der Berichterstattung das Gleichgewicht. Sicher, für die betroffenen Berufsfischer ist es eine Tragödie», sagt Schweizer, «Aber der Angler findet über 20 verschiedene Arten, die er nutzen kann. Das ist eigentlich Wahnsinn.»

Für die Hobbyfischer ist der Bodensee also noch kein verlorenes Gebiet. Entscheidend ist die eigene Anpassungsfähigkeit. Vielleicht mal so ein entgrätetes Rotauge versuchen (hier gibt es eine Anleitung) oder umdisponieren auf Zander, Hecht, Forelle, Saibling oder sogar die Bodensee-Spezialität schlechthin – den Aal.

veröffentlicht: 6. Mai 2024 06:17
aktualisiert: 6. Mai 2024 06:17
Quelle: FM1Today

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