Schweiz

Beschleunigte Asylverfahren: Flüchtlingshilfe will mehr Zeit

04.02.2020, 10:41 Uhr
· Online seit 04.02.2020, 08:23 Uhr
Schnellere Asylverfahren, im Gegenzug Gratisanwälte: Dieser Kompromiss bekommt nach einem Jahr Risse. Die Schweizerische Flüchtlingshilfe fordert mehr Zeit für die einzelnen Verfahrensschritte.
Peter Walthard
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Mit dem neuen Asylgesetz seien die Verfahren zwar schneller, aber nicht fairer geworden. Diese Bilanz zieht die Schweizerische Flüchtlingshilfe. Zehn Monate nach dem Systemwechsel zeige sich, dass die Beschleunigung auf Kosten von Fairness und Qualität der Verfahren gehen, schreibt die Organisation in einer Mitteilung vom Dienstag.

In einem Interview mit der NZZ äussert Miriam Behrens, Chefin der Schweizerischen Flüchtlingshilfe, gleichentags deutliche Kritik an der Praxis des Staatssekretariats für Migration (SEM). Tatsächlich werde nun so schnell gearbeitet, dass es vermehrt zu Beschwerden komme, so Behrens im Interview. Rund ein Drittel der Beschwerden, die Anwälte der Flüchtlingshilfe im Namen von abgewiesenen Asylbewerbern einreichen, sei in irgendeiner Form erfolgreich: Sie würden ganz oder teilweise gutgeheissen oder die Dossiers an das SEM zurückgegeben.

Behrens übt deshalb offen Kritik an der Vorgehensweise des SEM: «Wir sind der Meinung, dass der Zeitdruck heute viel zu hoch ist», sagt sie. Der Bundesrat habe schnelle und faire Verfahren versprochen, das Staatssekretariat fokussiere aber nur auf das Tempo.

Die Flüchtlingshilfe stützt sich auf Zahlen: In mindestens 50 Fällen habe das Bundesverwaltungsgericht Entscheide des SEM korrigiert, weil die Sachverhaltsabklärungen ungenügend gewesen seien oder der Zugang zum Gesundheitssystem und der Rechtsschutz der Asylbewerber mangelhaft gewesen sei.

Konkret kritisiert die Flüchtlingshilfe, dass das SEM unter Zeitdruck Arztberichte und Beweismittel nicht abwarte und dem Rechtsschutz keine Fristerstreckung gewähre. «Fehlerhafte Entscheide sind die Folge», hält die Flüchtlingshilfe fest. Dies zeige die Grenzen der Beschleunigung auf. Besonders bei kranken Menschen und Personen brauche es mehr Zeit, um zu korrekten Entscheiden zu gelangen. Dazu solle der bestehende Spielraum besser genutzt werden. Überlegungen der Wirtschaftlichkeit hätten bei kranken Menschen und Personen mit besonderen Bedürfnissen keinen Platz.

Aufkündigen will Behrens den Asylkompromiss nicht, sie verlangt aber mehr Ermessensspielraum: Für unbegleitete Minderjährige und psychisch Kranke könne man sich auch nach dem jetzigen Gesetz mehr Zeit nehmen, so Behrens im Interview mit der NZZ. Weiter mahnt sie zur Vorsicht mit Abschiebungen nach Italien und die Balkanstaaten und fordert, dass mehr Flüchtlinge direkt aus Ländern wie Libanon oder Jordanien in die Schweiz geholt werden.

veröffentlicht: 4. Februar 2020 08:23
aktualisiert: 4. Februar 2020 10:41
Quelle: CH Media

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