Hat für Verbrennungsmotoren im Strassenverkehr bald das letzte Stündlein geschlagen? Die aktuelle Entwicklung auf dem Fahrzeugmarkt lässt es zumindest vermuten. Wie der Touring Club Schweiz (TCS) vermeldet, lag der Anteil von neu im Strassenverkehr zugelassenen Autos, die mit einem Alternativantrieb ausgestattet sind im November 2021 bei 51 Prozent. Bereits im September des vergangenen Jahres erreichte dieser Wert ein Allzeithoch von 54 Prozent.
Unter einem Alternativantrieb versteht man verschiedene Hybrid-Antriebe sowie reine Batterie-Elektromotoren. Waren in den vergangenen Jahren insbesondere Hybrid-Modelle auf dem Vormarsch, scheint nun endgültig die Zeit der rein strombetriebenen Motoren gekommen.
Elektroantriebe sind im Mainstream angekommen
Über die drei Monate September, Oktober und November wuchs der Anteil an Neuzulassungen mit reinem Elektroantrieb auf 18,3 Prozent. Das ist bemerkenswert, weil damit erstmals über einen längeren Zeitraum die Schwelle von 13,5 Prozent überschritten wird. Gemäss einem Modell des US-amerikanischen Soziologen Everett Rogers ist dies der Wert, der verdeutlicht, dass eine Innovation den Schritt vom Nischen- zum Massenprodukt geschafft hat – konkret heisst das: Elektromotoren sind im Mainstream angekommen.
Ein Blick auf die Statistiken des Bundesamts für Energie verdeutlicht diese Entwicklung. Gab es noch im Jahr 2016 nicht einmal fünf Prozent an Neuzulassungen mit Alternativantrieb, ist dieser Anteil mittlerweile auf über 50 Prozent angestiegen. Richtig an Fahrt aufgenommen hat der Trend zu alternativen Motoren im Jahr 2019, seither steigt die Kurve von Jahr zu Jahr steiler nach oben.
Experte: Wenig Interesse der Autoindustrie verhinderte früheren Durchbruch
Für Martin Bolliger, Leiter Mobilitätsberatung beim TCS, ist es höchste Zeit für diese Entwicklung. Seiner Meinung nach sollte man sich nicht fragen, wieso dass die Entwicklung mittlerweile schneller vonstatten geht, als von Experten prognostiziert wurde, sondern vielmehr, wieso es so lange dauerte, bis diese Entwicklung eingetreten ist. Denn: «Technisch waren die Elektroautos bereits 2010 eigentlich bereit, um flächendeckend im Verkehr eingesetzt zu werden.»
Dass es ab da noch Jahre dauerte, führt Bolliger auf das geringe Interesse der Autoindustrie an alternativen Antrieben, den fehlenden politischen Druck und das ebenfalls geringe Bewusstsein der Konsumenten zurück.
Der freie Markt, Elon Musk und der Greta-Effekt
Dass sich Elektroantriebe nun aber doch mehr und mehr durchsetzen, liegt gemäss Bolliger an zwei Dingen. «2012 hat Tesla mit dem Modell S eine bahnbrechende Neuentwicklung auf dem Markt präsentiert. Dieses Auto war zwar ein Modell für das Luxussegment, hat den Markt aber von oben nach unten revolutioniert.» Die Autoindustrie brauche etwa sieben Jahre, um eine solch einschneidende Änderung zu adaptieren – 2019 seien dann die grossen Autohersteller bereit und Elektromodelle für alle Preisklassen verfügbar gewesen.
Den eingetretenen Trend vor drei Jahren befeuert hat gemäss Bolliger neben Tesla-Visionär Elon Musk zudem noch eine weitere Person: Die damals 16-jährige schwedische Umweltaktivistin Greta Thunberg. Gemäss Bolliger hat Thunberg mit ihrem Auftreten das Klimabewusstsein weltweit verstärkt. Die Folgen davon sind in der Schweiz unterdessen auf dem Automobilmarkt sichtbar.
Das Ende des Benziners?
Doch was heisst das für die Zukunft? Ist es denkbar, dass Alternativantriebe schon bald die Vorherrschaft im Strassenverkehr übernehmen oder die Verbrennungsmotoren sogar ganz aussterben lässt? Gemäss Bolliger kein völlig unwahrscheinliches Szenario: «Wendet man statistische Modelle auf die Situation an und stellt den Elektroantrieb vergleichbaren früheren Innovationen wie der Glühbirne und deren Eindringen in einen Markt gegenüber, könnte der Anteil an Elektroantrieben zwischen 2030 und 2035 bereits 90 Prozent betragen.»
Verboten werden sollen die Verbrennungsantriebe aus Sicht des TCS aber nicht. «Der Markt soll frei spielen», sagt Bolliger. Eine gewichtige Rolle bei der weiteren Entwicklung spielt insbesondere der Ausbau der Infrastruktur – wer ein Elektroauto fährt, muss dieses auch aufladen können. Wolle die Schweiz ihren Verkehr elektrifizieren, sei es wichtig, dass das Angebot an E-Tankstellen weiterhin verbessert wird.
Innerrhoder können noch wenig mit Elektroantrieb anfangen – Thurgauer sind Vorreiter
Die Statistik des Bundes verrät nebst den Zahlen zu den Neuzulassungen auch, in welchen Kantonen reine Elektroantriebe besonders beliebt sind. Die Ostschweiz ist ganz vorne vertreten – mit einer Ausnahme: In Appenzell Innerrhoden scheint der Elektrotrend noch nicht angekommen. Im Jahr 2021 entfielen dort nur 3,2 Prozent aller Neuzulassungen auf solche mit einem rein elektrischen Antrieb. Zum Vergleich: Im Kanton St.Gallen beträgt dieser Wert 16,3 Prozent, was damit dem dritthöchsten Wert der Schweiz entspricht. Getoppt wird St.Gallen vom Kanton Zürich (16,6 Prozent).
Elektro-Vorreiter in der Schweiz ist aber wiederum ein Ostschweizer Kanton: Im Kanton Thurgau sind ganze 18,2 Prozent der neuen Autos auf den Strassen CO2-frei unterwegs.