Schweiz

Das grosse Geschäft mit den Babys aus Sri Lanka

27.02.2020, 13:53 Uhr
· Online seit 27.02.2020, 13:51 Uhr
Ein neuer Bericht zeigt auf, wie die Schweizer Behörden bei Adoptionen aus Sri Lanka jahrelang versagten – und so Kinderhandel begünstigten.
Dominic Wirth
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Es ist ein dunkles Kapitel in der Schweizer Geschichte: die Adoption hunderter Kleinkinder aus Sri Lanka insbesondere in den 1980er-Jahre. Schon länger war bekannt, dass viele unter fragwürdigen Bedingungen erfolgten. Jetzt liegt ein detaillierter Bericht vor, den das Bundesparlament vor gut zwei Jahren in Auftrag gegeben hat.

Fast 300 Seiten ist das Dokument dick; erstmals wurden dafür Akten verschiedener Behörden ausgewertet. Der Bericht enthüllt, wie die Schweizer Behörden versagten, weil sie wegschauten. Und wie sie, schlimmer noch, geltendes Recht nicht einhielten.

Die Studie der Zürcher Hochschule für angewandte Wissenschaften liefert auch neue Zahlen dazu, wie viele Kinder zwischen 1973 und 1997 von Schweizer Ehepaaren adoptiert wurden. Insgesamt wurden in diesem Zeitraum 950 Einreisebewilligungen an sri-lankische Pflegekinder im Hinblick auf eine spätere Adoption ausgestellt. Der Löwenanteil entfiel dabei mit 749 Bewilligungen auf die Jahre 1980 bis 1986.

Fast tausend Kinder kamen also aus Sri Lanka in die Schweiz, und viele von ihnen, das legt der Bericht nahe, taten das unter zumindest zweifelhaften und zuweilen rechtswidrigen Umständen. Dazu muss man wissen, dass in Sri Lanka in der zweiten Hälfte der 1970er-Jahre ein «regelrechter Adoptionsmarkt», wie es im Bericht heisst, entstand.

Ein Netzwerk von Agenten und Anwälten vermittelte sri-lankische Adoptivkinder in europäische Länder – ein lukratives Geschäft. Schweizer Paare bezahlten für die Adoptionsvermittlung 5000 bis 15'000 Franken. Medien berichteten in den 1980er-Jahren mehrfach über Baby-Farmen, in denen Frauen genötigt oder gezwungen wurden, ein Kind auszutragen und danach wegzugeben.

Als eine von ihnen ausgehoben wurde, waren auch Schweizer Ehepaare vor Ort und warteten darauf, ein Kind überreicht zu bekommen.

Die Behörden kümmerte der Kinderhandel nicht

Aus dem Bericht geht hervor, dass auch die Bundesbehörden über diese Vorgänge im Bild waren; verschiedene Schweizer Botschafter meldeten sie aus der sri-lankischen Hauptstadt nach Bern. Zudem berichteten nationale und internationale Medien über den Kinderhandel. Dennoch schauten die Bundesbehörden weg.

Sie verhängten keinen Adoptionsstopp aus Sri Lanka, und sie verzichteten auch darauf, ihr Beschwerderecht wahrzunehmen und bei den kantonalen Behörden zu intervenieren. Die erteilten etwa Stellen, die internationale Adoptionen vermittelten, eine Bewilligung.

Teilweise waren diese nachweislich mit dubiosen Figuren aus dem sri-lankischen Kinderhandelsnetz verbandelt, allen voran die St. Gallerin Alice Honegger, die allein zwischen 1979 und 1982 insgesamt 270 Kinder aus Sri Lanka in die Schweiz vermittelte.

Die St. Galler Behörden verzichteten darauf, Alice Honegger die Bewilligung zu entziehen, doch das war nicht ihr einziges Versagen. Laut einer Stichprobe, die für die Studie vorgenommen wurde, fehlten in verschiedenen Adoptionsdossiers zentrale und gesetzlich vorgeschriebene Dokumente.

So in 11 von 28 untersuchten Fällen die Einverständniserklärung der leiblichen Eltern der Kinder nicht vorhanden. Auch andere Kantone nahmen es mit der Einhaltung der Gesetze nicht so genau, wie die Studie zeigt.

Betroffene fordern Wiedergutmachung

Viele einstige Adoptivkinder kämpfen bis heute mit ihrer Geschichte, und die Suche nach ihren Wurzeln wird durch die mangelhaften und teilweise gefälschten Dokumente erschwert.

Sie haben sich im Verein «Back to the Roots» zusammengeschlossen und fordern von den Behörden unter anderem Unterstützung bei der Herkunftssuche, eine öffentliche Anerkennung der Fehler durch Bund und Kantone sowie Wiedergutmachung. Weiter soll die Adoptionspraxis in der ganzen Schweiz aufgearbeitet werden.

veröffentlicht: 27. Februar 2020 13:51
aktualisiert: 27. Februar 2020 13:53
Quelle: CH Media

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