Max-8

«Der Schaden ist immens – Boeing verliert dauerhaft gegenüber europäischem Airbus»

19.02.2020, 18:03 Uhr
· Online seit 19.02.2020, 18:01 Uhr
Bei Routinekontrollen wurden in den Treibstofftanks mehrerer Boeing 737 Max-8 Flugzeuge «Fremdkörper» gefunden. Doch die Max-8 ist nicht das einzige Problem bei Boeing, sagt ein Experte im Gespräch. Und: Die Fehler kosten den US-Flugzeugbauer die Vorherrschaft.
Kevin Capellini
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Die Probleme beim US-Flugzeughersteller Boeing wollen nicht enden. Schon wieder kommt es beim Flugzeugtyp 737 Max-8 zu Problemen. Während Wartungsarbeiten wurden in Treibstofftanks einiger Flugzeuge, die wegen des globalen Flugverbots zwischengelagert werden müssen, Fremdkörper gefunden.

Wie Boeing bestätigt, soll es sich bei den gefundenen Teilen um sogenannte «foreign object debris» gehandelt haben. Also Teile und Unrat, die von verbauten Bauteilen oder von Werkzeugen stammen könnte, die von Arbeitern in den Tanks zurückgelassen worden waren. Für die Problembehebung beim Krisenflugzeug 737 Max-8 muss diese erneute Entdeckung für Boeing eine Ernüchterung sein.

Seit März 2019 ist der bestverkaufte Flugzeugtyp des amerikanischen Flugzeugherstellers nach zwei Abstürzen mit insgesamt 346 Toten mit einem globalen Flugverbot belegt. Um die 780 Maschinen stehen seit jenem Zeitpunkt gegroundet auf dem Boden. Seither versuchte Boeing abermals Probleme per Software-Update zu beheben. Doch die Mängelliste wurde immer länger. Neben der fehlerhaften Software wurden auch defekte Bauteile, mangelhafte Verbauung, falsch verlegte Kabel, Kurzschluss-Risikos und nun eben auch Fremdkörper gefunden. Zudem sorgte auch die fehlende Simulator-Ausbildung der Piloten für Diskussionen.

Für die 54 Airlines, welche den Flugzeugtyp bestellt haben, wurde die Boeing 737 Max-8 so zum Krisenflugzeug, mit einem verheerend schlechten Image bei den Reisenden. Rund 43 der 54 Fluggesellschaften haben daher ihre Max-8 Maschinen umbenannt. Darunter etwa die irische Billig-Airline Ryanair, die ihren Flugzeugen die Aufschrift 737-8200 verpasst hat.

Doch reicht es, der Boeing 737 Max-8 einfach eine neue Zahl auf den Bug zu pinseln? Diese Fragen haben wir Jens Flottau gestellt. Flottau ist Ressortleiter für Zivilluftfahrt bei der Aviatik-Zeitschrift «Aviation Week».

Seit gut einem Jahr hat Boeing mit der 737 Max-8 technische Schwierigkeiten. Alle paar Wochen hört man von neuen Problemen. Warum eigentlich? Boeing galt ja als zuverlässiger Flugzeugbauer.

Jens Flottau: Es besteht offenbar kein Zusammenhang zwischen dem jüngsten Problem und den anderen. Boeing hat wenige Details dazu veröffentlicht. Boeing hatte zuletzt auch in anderen Programmen Qualitätsprobleme, bei der Boeing 787-Fertigung in Charleston und beim Tankflugzeug KC-46. Auch hier ist nicht klar, ob es einen größeren Zusammenhang gibt.

Kam es zu diesen Produktionsfehlern, weil Boeing im engen Konkurrenzkampf mit Airbus steht und so auf Geschwindigkeit setzen musste?

Das kann ich so nicht beantworten. Es geht aber wohl eher um Produktionsprozesse, als um Konkurrenzdruck.

Momentan macht die 737 Max-8 Schlagzeilen. Muss man davon ausgehen, dass auch bei anderen Baureihen Probleme vorliegen, man diese einfach noch nicht gefunden hat, da man nicht danach gesucht hat?

Die eigentlichen Probleme der 737 Max-8 sind sehr spezifisch für das Modell, man kann keine Rückschlüsse auf andere ziehen.

Wie kann man diesbezüglich der amerikanischen Flugaufsichtsbehörde FAA vertrauen? Die stand im Zusammenhang mit der Max-8 ebenfalls mehrfach in der Kritik.

Die Flugaufsichtsbehörde FAA hat in der Vergangenheit die Aufsicht von Boeing vernachlässigt. Im vorliegenden Fall geht es aber um einen Produktionsfehler, und nicht um die Zertifizierung, für die die FAA dann wieder zuständig ist.

Kann man einschätzen, wann die Max-8 wieder fliegen darf?

Boeing sagt, im Verlaufe des Sommers werde die Max-8 wieder zugelassen. In der Branche gilt diese Ankündigung als einigermassen glaubwürdig, vorausgesetzt, es kommen nicht noch zusätzliche Probleme ans Licht. Von da an wird es aber noch Monate dauern, bis die Airlines das Modell wieder einsetzen können. Viele haben daher Max-Flüge bis zum Herbst aus den Flugplänen gestrichen.

Ist nach all diesen Schwierigkeiten und den beiden Crashs der Name Max-8 als «Marke» nicht tot?

Darüber wird heftig diskutiert. Der neue Boeing-Chef David Calhoun hat sich festgelegt und will Max behalten. Ich tendiere dazu, das für sinnvoll zu halten, denn nicht der Name muss geändert werden, sondern die Unternehmenskultur und die Technik.

Braucht es ein Rebranding oder sogar einen neuen Release mit einer leichten technischen Modifikation, als «neues» Flugzeug?

Das wird es offenbar nicht geben und es wäre auch nicht wirklich glaubwürdig.

Kann man den Schaden einschätzen, den Boeing durch die Max-8-Probleme erlitten hat? Auch auf Ebene der Wahrnehmung als vertrauenswürdiger Flugzeugbauer.

Der Schaden ist immens. Bislang hat Boeing Kosten in Höhe von 18 Milliarden Dollar verbucht, es wird wahrscheinlich sogar noch deutlich mehr sein, weil viele Entschädigungsverhandlungen mit Kunden noch nicht begonnen haben. Der Image-Schaden ist ebenfalls riesig, andererseits zeigt die Erfahrung, dass solche Phasen im Laufe der Jahre in Vergessenheit geraten. Es deutet allerdings vieles darauf hin, dass Boeing mit der Max dauerhaft Marktanteile gegenüber Airbus verliert und dies nur mit einem völlig neuen Flugzeug korrigieren kann. Dieses wird aber, weil heute die Technologie nicht so weit ist, nicht vor 2030 erwartet.

veröffentlicht: 19. Februar 2020 18:01
aktualisiert: 19. Februar 2020 18:03
Quelle: CH Media

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