Corona, Krieg, Klima

«Extreme Ideen sind beliebter geworden» – neues Projekt soll Gräben schliessen

07.10.2023, 12:46 Uhr
· Online seit 07.10.2023, 09:23 Uhr
Spannungen haben seit der Corona-Pandemie zugenommen. Damit die Menschen die neuen Krisen meistern können, planen zwei Konflikt-Expertinnen ein Dialogprojekt. Die politische Linke und Mitte begrüssen dies. Keinen Bedarf sieht die SVP.
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Die Schweiz hat die Pandemie hinter sich gelassen. Geblieben sind die gesellschaftlichen Spannungen. Seit der Corona-Krise wehren sich Menschen zunehmend gegen staatliche Eingriffe. Behörden kämpfen inzwischen sogar mit sogenannten Staatsverweigern, die Steuern und Schulden nicht bezahlen wollen.

Gräben in die Schweiz haben aber auch andere Krisen gerissen. Uneinig sind sich die Schweizerinnen und Schweizer etwa, wenn es um die Neutralität und Waffenlieferungen für die Ukraine geht. Zunehmend Anlass für Streit gibt das Klima. Klima-Aktivistinnen und -Aktivisten fordern die Politik etwa mit radikalen und spektakulären Methoden zum Handeln auf, was bei anderen wiederum emotionale und hasserfüllte Reaktionen auslöst.

Buch und Wanderausstellung sind geplant

Ein neues schweizweites Projekt namens «Zwischentöne – Lernen fern vom Coronalärm» will dazu beitragen, diese Gräben zu schliessen. «Die Schweiz muss die Corona-Pandemie gesamtgesellschaftlich verarbeiten, um die neuen Krisen zu meistern», sagt Konfliktberaterin und Mediatorin Cordula Reimann zur Today-Redaktion.

Mit Claudia Meier, Expertin für Konflikttransformation, plant sie ein regionales und nationales Partizipations- und Dialogprojekt. Vorgesehen sind ein Buch und eine Wanderausstellung, in der Menschen aus allen Gesellschaftsschichten auf die Pandemie zurückblicken. Zurzeit sind die beiden Initiantinnen im Gespräch mit Stiftungen, um die Finanzierung zu sichern.

Polarisierung als Gefahr

Reimann: «Lernen aus der Coronazeit ermöglicht sozialen Fortschritt und Anpassung und Verbesserung von politischen Massnahmen für nächste Krisen wie die Klimakrise», sagt Reimann. Eine offene Fehlerkultur ermögliche, aus Krisen zu lernen. «Das macht unsere Gesellschaft krisensicherer und resilienter.» Dies gelinge nur, wenn wir Krisen als kollektive Veränderungsprozesse verstünden, die uns alle beträfen.

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Die aktuelle Polarisierung in der Gesellschaft sieht Reimann als Gefahr. Zunehmend gewaltbereite Strömungen dienten auch als Sammelbecken für Menschen, die lediglich gehört werden wollten, sagt Reimann. Themen gesellschaftlichen Raum zu geben, könne diesen den Nährboden entziehen. «Die internationale Konfliktforschung zeigt, dass dies unbedingt nötig ist, damit Konflikte nicht eskalieren.»

Arbeite die Gesellschaft die Corona-Pandemie nicht auf, bestehe die Gefahr, dass sich Unsicherheiten und Ängste in die nächste Krise verlagerten, sagt Reimann. «Dabei sollten wir aus Fehlern doch lernen.»

Frischen Wind aus Parlament gefordert

Als Chance dafür sehen Cordula Reimann und Claudia Meier das neue Parlament, das am 22. Oktober gewählt wird. «Neu gewählte Politikerinnen und Politiker können sich mit neuen Ideen profilieren und die öffentliche Diskussion beflügeln und besetzen», sagt Reimann. Gerade beim Thema Coronaverarbeitung brauche es frischen Wind, um das Thema aus der hochgekochten politischen Polarisierung rauszulösen und es sachlich – und menschlich – anzugehen.

Bei Parlamentarierinnen der linken Seite und der Mitte kommt das Projekt gut an. Die Gräben, die in der Pandemie entstanden seien, seien knapp gekittet worden, sagt Grünen-Nationalrätin Katharina Prelicz-Huber. «Gewisse fundamentalistische Ideen haben dagegen an Zulauf gefunden.» Auch in der Politik falle ihr auf, dass die Diskussionen polarisierender als früher verliefen.

«Daher unterstütze ich alle Prozesse zugunsten des friedlichen und konsensorientierten Umgangs in der Gesellschaft sehr», sagt Prelicz-Huber. Je mehr die Menschen miteinander redeten, desto mehr Gemeinsamkeiten fänden sie.

«Schweiz ist in Krisen nicht geübt»

Als interessant bezeichnet Mitte-Nationalrätin Elisabeth Schneider-Schneiter das Projekt. «Die Pandemie haben wir supergut überwunden. Jetzt müssen wir ‹Krise lernen›.» Die Schweiz sei als erfolgsverwöhntes Land darin nicht geübt.

Keinen Bedarf sieht SVP-Nationalrat Alfred Heer. «Konflikte gibt es in einer Demokratie immer», sagt er. Auch bringe jeder Konflikt eigene Herausforderungen. «Der Krieg in der Ukraine ist wieder etwas anderes als die Pandemie. Im Vergleich zu früher stellt er in der Schweiz keine grössere Polarisierung fest. «Es kommt einem vielleicht so vor, weil in den sozialen Medien heute jeder seinen Furz rauslassen kann.»

Politik will Lehren ziehen

Die Politik arbeitet die Corona-Pandemie schon länger auf. Die Zertifikatspflicht, die der Schweiz rund ein halbes Jahr galt, löste bei nicht geimpften Menschen grossen Unmut aus. Da sie etwa Restaurants und Veranstaltungen nur noch mit einem Zertifikat besuchen konnten, fühlten sie sich diskriminiert.

Kürzlich hielt die Geschäftsprüfungskommission des Nationalrats (GPK) mit dem Beispiel des Covid-Zertifikats fest, dass Lehren für künftige Krisen gezogen werden müssten.

veröffentlicht: 7. Oktober 2023 09:23
aktualisiert: 7. Oktober 2023 12:46
Quelle: Today-Zentralredaktion

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