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Coach Severin Lüthi über das Traumjahr von Roger Federer

Coach Severin Lüthi über das Traumjahr von Roger Federer

18.11.2017, 12:44 Uhr
· Online seit 18.11.2017, 12:16 Uhr
Severin Lüthi führt Roger Federer zusammen mit Ivan Ljubicic nach einem halben Jahr Verletzungspause zurück an die Spitze. Ein Gespräch über Erwartungen, Überraschungen und Erfolgsgeheimnisse.
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Roger Federer sagte kürzlich, Sie würden zu wenig Anerkennung erhalten für Ihre Arbeit. Empfinden Sie das auch so?

Severin Lüthi: «Puh. Ich gehe ja nicht jeden fragen, wie viel er von meiner Arbeit halte. Ich könnte sicher mehr Interviews geben und mich mehr in den Vordergrund stellen. Das ist aber nicht mein Ziel. Das wichtigste für mich ist, dass Roger gut spielt. Es würde nur zusätzliche Arbeit geben und würde null dazu beitragen, dass Roger besser spielt. Hier beispielsweise fragen sie mich immer wieder, ob ich vor dem Spiel über die Taktik reden könnte. Entweder du sagst nur Blabla oder du verrätst etwas Wichtiges und die anderen hören davon. Ganz ehrlich, ich habe schon Interviews von Coaches gelesen und dabei etwas gelernt oder etwas daraus herausnehmen können, das uns nützte. Das will ich den Gegnern nicht geben. Wichtig ist, dass du von deinem Team genügend Rückhalt und Anerkennung erhältst.»

Und wie sieht es mit der Anerkennung innerhalb der Tennisgemeinde aus?

«Es ist schwierig zu beurteilen, wie gut die Arbeit ist, die andere Coaches machen. Da kannst du nur mutmassen. Vielleicht könnte man sich da auch besser verkaufen. Aber ganz ehrlich: Ich kann ja auch nicht beurteilen, ob ich ein besserer Coach bin als zum Beispiel der von Pouille.»

Eine Saison wie diese hätten Sie sich kaum erträumen können. Was sind die wichtigsten Faktoren dafür?

«Definitiv nicht. Eigentlich hätte man die Saison nach dem Australian Open abbrechen können und sie wäre schon ein Erfolg gewesen. Es gibt sicher verschiedene Gründe. Erstens ist Roger frisch zurückgekommen. Natürlich muss auch Roger seine Stunden auf dem Platz gearbeitet haben, aber die Frische ist unheimlich wichtig. Manchmal kommt er aus den Ferien zurück und trifft den Ball gleich so gut, dass ich das Gefühl habe, der hat jetzt drei Wochen durchgespielt. Mit seiner Erfahrung braucht er nicht mehr so viel Repetition wie ein Junger. Dann hat natürlich der gute Start geholfen, er hat gleich viel Selbstvertrauen bekommen. Und schliesslich, ohne deren Erfolge schmälern zu wollen, haben Rafa (Nadal) und Roger sicher auch davon profitiert, dass andere ausgefallen sind. Wir wissen natürlich, dass die beiden alle schlagen können, aber wenn du zuerst Murray, dann Djokovic und vielleicht noch Roger schlagen musst, ist es natürlich schon noch etwas komplizierter, als wenn nur einer von denen dabei ist."

Sie haben die Sandsaison komplett ausgelassen, und das hat sich bewährt. Werden Sie das wieder so machen?

«Wichtig ist, dass der Mix stimmt zwischen Turnieren, Pause und Aufbau. Für diese Saison war der Entscheid, auf die Sandsaison zu verzichten sicher richtig. Nächstes Jahr werden wir schauen. Das muss nicht immer gleich sein.»

An den ATP Finals scheint Federer den Rhythmus noch nicht so ganz gefunden zu haben.

«Nicht schlecht, wenn man trotzdem dreimal gewinnt. (schmunzelt) Manchmal hat man bei Roger das Gefühl, dass es fast von alleine geht. Das ist hier bis jetzt nicht so. Nach Basel war er körperlich und mental müde. Deshalb war es das Beste, herunterzufahren, nicht zu trainieren und wieder aufzubauen. Wahrscheinlich muss er sich noch steigern, um das Turnier zu gewinnen, aber meist spielt er ja von Spiel zu Spiel besser.»

Am Mittwoch trainierte er nicht.

«Man muss sich fragen, ob sich der Stress lohnt, zum Beispiel zwei Stunden im Auto zu sitzen, um 45 Minuten oder eine Stunde zu trainieren. Was Roger unglaublich gut macht: Er macht sich keinen Stress. Er denkt nicht: ‹Shit, gestern habe ich nicht trainiert, hoffentlich finde ich heute ins Match.› Das überlegt er sich gar nicht. Ein Rafa könnte das wahrscheinlich nicht, für ihn wäre etwas anderes richtig. Es gibt kein Patentrezept, aber für uns ist das absolut das Richtige.»

Am Ende des Jahres wird Federer knapp nicht die Nummer 1 sein. Bedauern Sie das?

«Nummer 1 wärst du immer gerne, noch dazu mit 36 Jahren. Aber ab einem gewissen Punkt, kannst du nicht mehr jedes Ziel verfolgen. Mir ist lieber, er gewinnt hier, als dass er die Nummer 1 ist. Vielleicht hat er die Punkte in Dubai (Niederlage in der 2. Runde) liegen gelassen, aber hätte er da gewonnen, hätte er vielleicht in Indian Wells und Miami nicht gewonnen, weil zwei Prozent Frische gefehlt hätten.»

Sie haben nun die erste richtige Saison mit Ivan Ljubicic als Coach fast hinter sich. Was ist mit ihm anders als zuvor?

«Er ist noch mehr der Spieler. Man spürt, dass er gegen manche noch selber gespielt hat. Roger hat schon immer gerne mit anderen, auch mit Stan, darüber geredet, wie sie einen bestimmten Gegner erleben. Man kann immer dazu lernen. Ich kann von Ivan lernen, er sicher auch Sachen von mir. Ich hab ja auch schon mit vielen anderen Coaches zusammengearbeitet und von jedem lernen können. Was bei Ivan zum Beispiel anders ist: Mit Paul (Annacone) haben wir uns zuerst zusammen besprochen, um dann für Roger eine Meinung zu haben. Mit Ivan bringen wir beide unsere Punkte. Wir müssen nicht wie der Bundesrat zu einer einheitlichen Meinung kommen. Denn Roger ist extrem gut, verschiedene Informationen zu bekommen und am Schluss zu entscheiden. Er war schon immer interessiert und will wissen, warum er etwas machen soll. Dann muss man das halt begründen können.»

Sind Sie in Kontakt mit Stan Wawrinka? Sie haben ja nun viel Erfahrung beim Zurückkommen von einer Verletzung.

«Ich habe ihn in letzter Zeit nicht gesehen, weil ich selber viel unterwegs bin. Aber es ist geplant, dass ich ihn nächste Woche treffe. Nicht als Coach, einfach als Freund, um ihn mal wieder zu sehen. Er weiss, dass ich ihm gerne helfe, wenn er das wünscht. Ich weiss aber nicht genau, wie es bei ihm in Sachen Coach weitergeht.» (Wawrinkas bisheriger Coach Magnus Norman beendete die Zusammenarbeit, um mehr Zeit zuhause zu verbringen.)

Als Wawrinka das letzte Mal ohne Coach war, haben Sie ihm relativ viel geholfen. Da war er aber noch kein Grand-Slam-Sieger und weniger eine Konkurrenz für Federer. Wäre es heute schwieriger, ihm Tipps zu geben?

«Nein. Ich würde das sicher mit Roger absprechen. Aber es war schon jetzt so, dass ich versucht habe zu helfen, wenn Magnus (Norman) gefragt hat. Roger ist da sowieso unglaublich. Wenn ich sage, ich gehe jetzt bei Stan schauen, sagt er: Mach nur. Am Ende ist Stan halt auch ein Freund von mir.»

Wie schwer wiegt der Verlust von Norman als Coach?

«Es lief natürlich gut mit Magnus, da möchte man kaum wechseln. Ich bin aber überzeugt, dass Stan als Spieler und Persönlichkeit weiter und gefestigter ist als vor ein paar Jahren und wahrscheinlich weiss, was er von einem Coach braucht. Stan wird eine gute Lösung finden und auch in Zukunft vorne mitspielen können. Entscheidend ist seine Gesundheit.»

Können Sie sich vorstellen, nach Federer einen schlechteren Spieler zu coachen?

(lacht) «Ich kann ja nicht einfach nichts mehr machen. Wie im Davis Cup gilt: Als Erstes will ich immer gewinnen. Das geht halt leider nicht immer. Wenn ich nicht gewinnen kann, will ich immer besser werden. Das kann auch mit Spielern interessant sein, die nicht ganz so gut sind. Ich will merken, dass es vorwärts geht, egal auf welchem Niveau. Das ist meine Ambition. Ich mag es nicht, nach einem halben Jahr wieder über das gleiche Thema auf dem gleichen Niveau zu sprechen. Und es wäre ein Problem, wenn ich merke, dass ich mehr motiviert bin als der Spieler. Die Eigenmotivation ist fast das Wichtigste.»

Was ist Ihre Motivation als Davis-Cup-Captain?

«Einerseits das Team. Ich habe es immer gemocht, in Teams zu sein. Dann es ist es auch etwas, das ich für die Schweiz machen kann. Ich bin stolz, diesen Job zu machen. Es geht auch hier darum, das Maximum herauszuholen. Wir hatten in den letzten beiden Jahren sicher auch etwas Glück, dass wir in der Weltgruppe geblieben sind. Es hätte auch schwierigere Auslosungen gegeben. Aber auch da müssen jetzt Fortschritte kommen, gerade nach dem Rücktritt von Marco (Chiudinelli). Da sind Leute, die nicht in einem Jahr in den Top 100 sind. Aber ich habe in den letzten Wochen und Monaten gute Feedbacks bekommen.»

Wie viel Einfluss können Sie ausserhalb des Davis Cups nehmen?

«Ich will keine Konkurrenz zu den Coaches sein, ich bin eher ein Berater. Für die tägliche Arbeit habe ich auch nicht genug Zeit. Ich versuche, die Spieler so zu erziehen, dass sie ihr eigener Chef, der CEO ihres eigenen Unternehmens sind. Sie sollen durchaus auch hinterfragen, was ich ihnen sage.»

Gibt es ausser Federer einen Spieler, den Sie gerne mal coachen würden?

(überlegt lange) «Einen besseren als ihn gibt es nicht. Und zwar von allen Seiten: menschlich, vom Tennis-Niveau, dass er Schweizer ist. Ich bin schon stolz, dass er ein Schweizer ist. Zudem müsstest du sonst in den Trainingswochen auch noch nach Amerika reisen. Die Frage stellt sich im Moment nicht.»

veröffentlicht: 18. November 2017 12:16
aktualisiert: 18. November 2017 12:44
Quelle: SDA

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