Fussball

«Ich fühlte mich wie ein Fremdkörper»: Embolo über Monaco und seine Heimat

11.07.2023, 10:19 Uhr
· Online seit 11.07.2023, 10:18 Uhr
Breel Embolo, 26-jährig, steht immer wieder im Mittelpunkt. Als Fussballer, als Mensch. Der Stürmer von Monaco hat viel zu erzählen. Ein ausführliches Interview mit dem Schweizer Internationalen.
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Kaum ein Schweizer Nationalspieler hat in seinem Leben mehr erlebt als der gebürtige Kameruner. Mit knapp mehr als ein bisschen Hoffnung verliess er als Sechsjähriger das Land seiner Eltern. Inzwischen hat er über 60 Länderspiele für die SFV-Auswahl bestritten und besitzt im Fussball-Business den Status eines Stars.

In einem langen Gespräch mit der Nachrichtenagentur Keystone-SDA gewährt er einen tiefen Einblick in seinen Alltag. Er erklärt, was ihn bewegt, wo er im Leben steht, was ihn antreibt und weshalb auch ihm Fehler unterlaufen. Wenige Minuten vor dem Telefonat hat er erfahren, dass er in Monaco wieder mit seinem früheren Gladbach-Coach Adi Hütter zusammenarbeiten wird.

Breel Embolo, auf der Trainerbank Monacos sitzt ab sofort ein alter Bekannter von Ihnen.

Breel Embolo: Grad eben habe ich ihn begrüsst und mich kurz mit ihm unterhalten. Ich habe mich für ihn gefreut. Wir telefonierten zwischendurch mal, gesehen haben wir uns aber seit meinem Abschied in Gladbach vor einem Jahr nicht mehr. Hütter habe ich in bester Erinnerung. Er setzte auf mich, er verstand mich. Die Situation für ihn ist fast ein bisschen ähnlich wie die Ausgangslage bei Mönchengladbach. Er sollte damals die Defensive stabilisieren. In Monaco gilt das Gleiche – wir haben viel zu viele Gegentore kassiert.

Wie haben Sie ihn in Erinnerung?

Als streng, aber ruhig. Disziplin ist ihm wichtig. Er hat klare Vorstellungen, wie seine Mannschaften spielen sollen – schnell nach vorne, schnörkellos.

Wie funktioniert der Mensch Hütter?

Er ist ein Monsieur. Ein Mann mit Herz. Er zeigt seine Emotionen nicht so offen, aber Hütter wirkt sehr menschlich auf mich. Und er strahlt etwas aus. Er besitzt eine Aura an der Seitenlinie.

Ihre eigene Ankunft im Sommer vor einem Jahr verlief nicht ganz unkompliziert.

Ich fühlte mich wie ein Fremdkörper. Im ersten Test in Southampton ging wirklich alles komplett schief, es war richtig schlimm. Danach war klar, wenn mir hier niemand vertraut, könnte es problematisch werden für mich. Die Lösung des Problems? Ich muss meine Mitspieler so rasch wie möglich kennenlernen. Wer spielt hinter mir, wer neben mir, wer vor mir? Wie interpretieren sie das Spiel? Deshalb bestellte ich beim Video-Coach von jedem Spieler Sequenzen und studierte sie zu Hause. Nur so war es möglich, die Vorgaben des Klubs zu erfüllen.

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Wie klingt die Wunschvorstellung? Für Sie, aber auch aus Sicht des Klubs.

Ich bin nicht prädestiniert dafür, solo ganz vorne zu spielen - ausser zwei extrem schnelle Flügel unterstützen mich. Auf den ersten Pfosten gehen andere schneller und besser. Ich komme lieber aus dem Rückraum. Viele vergessen, dass ich früher jahrelang im Zentrum agiert habe. Bei Schalke hatten sie das Gefühl, ich sei am Flügel gut aufgehoben. Man schob mich auf den Positionen hin und her. Unter ‹Muri› (Nationaltrainer Murat Yakin) bestritt ich an der WM das erste Turnier als klassischer Neuner. Bei Hütter war ich auf Klubebene erstmals klar gesetzt als Stürmer. Entsprechend steigt die Verantwortung. Der Fokus ist ein anderer.

Was erwarten die Monegassen denn von Ihnen?

Paul Mitchell (Sportvorstand) erklärte mir klipp und klar, was sie sich vorstellen. Man hat mich als Leader, als Winner-Typ verpflichtet. Es geht darum, Zeichen zu setzen – auch in der Garderobe. Sie sehen mich als Bindeglied, als wichtiges Puzzle im grossen Bild – als einen, der unter Druck für den Unterschied sorgen kann, mit seiner Mentalität.

Ihr letztes Spiel mit dem Nationalteam endete unschön - es war beim 1:6-Debakel an der WM gegen Portugal.

Ich war sehr enttäuscht. Unmittelbar nach der WM verbrachte ich zusammen mit Granits Familie ein paar Ferientage. Während der ersten vier Tage fühlte ich mich total down, einfach nur fertig. Wir sind gegen ein Portugal ohne Cristiano Ronaldo und Cancelo untergegangen. Ich konnte es damals kaum glauben, als ich die Aufstellung gesehen habe. Die verpasste Chance, etwas Grosses zu schaffen, beschäftigte mich sehr.

Wie haben Sie das aufwühlende Duell mit Kamerun in Erinnerung?

Es waren allgemein extrem energieraubende Spiele. Ich mag mich an das physisch harte Duell mit Kamerun erinnern. Ich heulte nach meinem Tor, das Team umringte mich während fast zwei Minuten. Jeder sprach mir gut zu. Es hat mich durchgeschüttelt. Da steckt so unfassbar viel persönliche Geschichte drin.

Präsent sind noch immer die Bilder aus dem Spiel gegen Serbien, wie Sie und Ihre Kollegen den Captain Xhaka auf dem Feld solidarisch verteidigt haben.

Es war ein Statement. Aber ganz ehrlich, nervlich hat mich diese Partie auch an den Rand gebracht. Es ist so wahnsinnig viel passiert - im Vorfeld, während der neunzig Minuten, danach. Wow. Es war so viel Gift im Spiel. Nach dem Sieg freuten wir uns zwar, aber jeder wusste: Mit einem Tor mehr hätten wir den Gruppensieg geschafft und gegen Südkorea spielen können im Achtelfinal.

Ist der Absturz im Achtelfinal für Sie ein halbes Jahr später erklärbar?

Mehrere Spieler waren ausgepumpt. Dazu kamen taktische Wechsel. Nicht jeder fühlte sich wohl damit. Aber wir machten Fehler, die überhaupt nichts mit dem System zu tun haben. Und: Die Portugiesen haben uns anders als die Franzosen im EM-Achtelfinal zu keinem Zeitpunkt unterschätzt. Sie zogen voll durch. Sie wussten genau, wozu wir an einem guten Abend in der Lage wären. Das spricht für unsere Fortschritte. Aber das Ergebnis fühlte sich brutal an.

Zur Zukunft im Nationalteam. Die EM 2024 rückt näher. Sie haben die letzten Spiele bestimmt verfolgt - und wohl auch die Endrunde der U21-Auswahl.

Natürlich habe ich mir die U21-EM angeschaut. Wir befinden uns an einem spannenden Punkt. Mit Zeki (Amdouni) haben wir einen Jungen, der den Sprung geschafft hat. Er ist ein Plus. Seine Art und Weise, wie er sich bewegt, wie er sich anpassen kann, beeindruckt mich. Ich bin froh, haben wir einen wie ihn für die Zukunft. Er hat sich dem internationalen Wind bereits ausgesetzt. Der Nationalmannschaft kann er schon jetzt helfen.

Ist Ihnen ein weiteres Talent aufgefallen?

Ja, der Innenverteidiger von YB. Amenda hat Klasse. Ihm traue ich eine grosse Karriere zu. Er hat die Grösse, die Schnelligkeit und ein gutes Gefühl im Fuss. Für ihn gibt es europäische Interessenten. Er könnte sogar schon bald mal ein Thema für die A-Nationalmannschaft werden. Meine Mutter kennt seine Mutter gut. Auch deshalb verfolge ich Aurèle schon länger etwas genauer.

Sie sind grad eben ein paar Tage in Ihre alte Heimat eingetaucht. Wie wars in Kamerun?

Das WM-Spiel hat noch einmal extrem viel verändert. Die Wahrnehmung meiner Person ist eine ganz andere. Ich bekam während vier Tagen alles Mögliche zu hören. Die einen waren happy, andere total unzufrieden damit, dass ich sie aus dem Turnier geschossen habe. Viele verfolgen mich, sind stolz auf meinen Weg. Andere wenden sich ab, wollen auf keinen Fall mehr mit mir fotografiert werden. Der Stellenwert des Fussballs ist gigantisch. Was diese Sportart mit Kamerun macht, bekam ich während sechsundneunzig Stunden intensiv zu spüren - vielleicht so krass wie nie zuvor.

Verbandspräsident Samuel Eto'o hat Sie empfangen.

Die Unterhaltung mit ihm tat gut. Er warf mir nichts vor. ‹Ich bin dir nicht böse, Breel. Wir hätten unseren Job stattdessen besser machen sollen›, sagte er. Mich irritierte, in welch kärglichen Verhältnissen der Verband haust, wie bescheiden alles ist. Ich sagte ihm, dass ich als Mensch gerne etwas zurückgeben würde.

Inwiefern?

Sie müssen sich die Dimensionen vorstellen. In der Heimat meiner Eltern interessieren sich Hunderttausende für den Fussball, für meinen Sport, für meinen Weg. Die einen tragen das Schweizer Shirt, weil sie Fan sind, weil sie mir den Erfolg gönnen. Viele haben nichts, nur die Hoffnung auf bessere Zeiten, auf Entwicklung. Der Sport gibt ihnen Kraft - und mir auch. Ihr Enthusiasmus, ihr Wille, das Positive zu sehen, sind ansteckend. Da nehme ich viel mit nach Europa.

Was hat Sie speziell berührt?

Sie sind dankbar, einen internationalen Sportler zu sehen, mit ihm sprechen zu können. Es ist wichtig, einfach da zu sein, sich zu zeigen und sich nicht einfach hinter getönten Scheiben zu verschanzen. Das würde nicht meinem Naturell entsprechen. Ich bin bodenständig, auch wenn man sich ab und zu abgrenzen muss, weil jeder und jede mit einem anderen Anliegen ankommen.

Was führt Sie immer wieder in Ihre Geburtsstadt Yaoundé zurück?

Die Bindung zur Familie und natürlich meine Stiftung. Es tut aber auch gut, immer mal wieder aus unserem europäischen System auszubrechen, in eine komplett andere Welt einzutauchen, sich mit der Realität in Afrika auseinanderzusetzen. Für mich ist es wichtig, nie zu vergessen, woher ich komme, wo ich die ersten Jahre meines Lebens verbracht habe. Diese Zeit will ich mir immer wieder nehmen.

Haben Sie ... (Embolo unterbricht)

Und wissen Sie, ich habe eine Vision, ein grosses Ziel: ein Benefiz-Spiel in Kamerun, mit Granit (Xhaka), Manu (Akanji), Yann (Sommer), Afrikanern aus der Ligue un. Zwei Tage ihres Lebens müssten sie opfern. Daran arbeite ich, das schwebt mir vor. Geld ist vergänglich - deshalb will ich ihnen eine riesige Geschichte schenken. Etwas, woran sie sich immer erinnern werden, woran sie sich klammern können, das den Glauben stärkt, grosse Dinge erreichen zu können. Ich lebte hier, bis ich sechs war. Das andere Leben schien Lichtjahre entfernt. Ich träumte davon, so zu sein wie der grosse Samuel Eto'o. Er inspirierte mich. Er ist einer der Gründe, weshalb ich oben angekommen bin. Positive Gefühle sind in diesem Land unfassbar wichtig - das Hungerleiden ist allgegenwärtig, das wirkt zermürbend.

Zurück zu einer anderen Realität, zu den negativen Schlagzeilen über Sie in den letzten Monaten und Jahren. Wie haben Sie diese Geschichten verdaut?

Die Geschichte wegen Corona bewegte mich. Ich sagte meine Meinung nie. Es kursierten Unwahrheiten im Netz. Das blieb so stehen. Andere Texte, die angepasst oder korrigiert wurden, wurden öffentlich nicht mehr besprochen. Es gab nur eine Richtung. Das hat mich echt irritiert. Für die ganz grossen Schlagzeilen interessierte man sich. Ich komme aus einer Familie, die nahezu jeden Tag ums Essen gekämpft hat. Ich habe schon ein Mass an Demut mitgenommen. Deshalb störten mich die wochenlangen Attacken - weil sie am Ende auf meine familiäre Existenz zielten und die Relationen verloren gingen.

Ich spiele Fussball, weil ich inspiriert worden bin. Ich spiele aber auch für meine Familie, damit ich ihr helfen kann. Darum stehe ich jeden Tag auf und arbeite hart. Kritik gehört dazu. Ich weiss das und stelle diesen Punkt auch nicht in Abrede. Ich möchte gerne authentisch bleiben. Auch im Kontakt mit den Menschen. Ich kann Nähe schon aushalten.

Dazu wird immer eine Meinung gefordert. Wenn du dann eine klare Meinung äusserst, empfinden andere Beobachter das als unpassend, unflätig, inkorrekt. Sie zerren das Schlechte in den Vordergrund. Deshalb äussere ich mich oft gar nicht mehr, weil ich mir diesen ganzen Stress ersparen will. Ich will den Fussball geniessen, und ich bin auch bereit, den entsprechenden Preis für meine Haltung zu bezahlen. Aber in erster Linie bin ich schlicht gar nicht so wichtig.

Und das jüngste Problem mit dem Gerichtsfall in Basel?

Mir ist klar geworden, dass ich nicht nur für den Namen meiner Familie stehe. Ich vertrete aufgrund meiner Bekanntheit auch einen Teil der Schweiz. Mir ist bewusst geworden, dass ich mir unter der öffentlichen Lupe nahezu nichts mehr erlauben kann und sollte. Ich bewege mich in einer der populärsten Sportarten. Es gibt Vorgaben und perfekte Bilder, die man besser erfüllen sollte.

(sda/log)

veröffentlicht: 11. Juli 2023 10:18
aktualisiert: 11. Juli 2023 10:19
Quelle: Today-Zentralredaktion

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