Grosse Hoffnung trotz vieler Wermutstropfen

22.12.2017, 10:38 Uhr
· Online seit 22.12.2017, 05:39 Uhr
Das Jahr 2017 war für den FC St. Gallen keine Achterbahn- sondern eine stetige Talfahrt – mit Ausnahme des letzten Kapitels und der sportlichen Ausbeute. Dank des radikalen Umbruchs in der Klubführung ist die Hoffnung für das nächste Jahr gross, schreibt Sportjournalist und TVO-Moderator Dominic Ledergerber.
Dumeni Casaulta
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Es war ein beklemmendes Gefühl für Fans, Sponsoren und womöglich auch für die Spieler selbst. Und das obwohl der FC St. Gallen an diesem 5. März 2017 den Tabellendritten Sion mit einem Tor Differenz bezwang. Oder gerade deswegen? Klar ist: Es war der letzte Sieg unter Trainer Joe Zinnbauer. Und auch wenn die Regeln des Trainermetiers für den Deutschen lange keine Gültigkeit zu haben schienen, so war doch allen klar, dass man diesen nicht nach einem Sieg entlassen würde.

Die daraus resultierende Gefühlsambivalenz war ernüchternd für jedes grün-weisse Herz. Soll man sich über den Sieg freuen? Oder wiegt die Sorge darüber doch schwerer, dass es bis auf weiteres mit einem Trainer weitergeht, dem man die Wende schon lange nicht mehr zutraut?

Knapp zwei Monate später hatte sich diese Frage erübrigt: Dölf Früh, einer von drei (!) FCSG-Präsidenten im Jahr 2017, beugte sich dem wirtschaftlichen Druck, der durch das Fernbleiben der Zuschauer und das Abwenden der Sponsoren entstand. Er entliess Joe Zinnbauer, installierte mit Giorgio Contini einen Meisterstürmer von 2000 und schrieb damit den ersten Akt eines verrückten Jahres.

Chaos als Alibi

Die Fortfolge des Jahres 2017 unter Contini könnte gemessen an den nackten Zahlen geradezu als harmonisch bezeichnet werden: Zinnbauers Nachfolger schaffte nicht nur den Ligaerhalt, er überwintert mit seiner Mannschaft sogar auf dem vierten Platz. Statistisch gelang der Turnaround also und doch wurde selbst Contini nicht müde zu betonen, dass die Tabelle seine Mannschaft besser aussehen liesse, als sie tatsächlich sei.

Wie trügerisch die gute Ausgangslage ist, zeigt nur ein Beispiel: Hätte St. Gallen das letzte Spiel vor der Winterpause verloren, läge er auf Platz sechs – mit nur vier Zählern Vorsprung auf den Abstiegsplatz. So waren die Leistungen des FCSG auch in der zweiten Jahreshälfte oft durchzogen und konzeptlos. Trotzdem durften die Espen am 1. Oktober als Tabellenzweite zu Leader YB reisen, wo ihnen die Grenzen bei der 1:6-Ohrfeige aber schonungslos aufgezeigt wurden.

Für die Profis gab es zu diesem Zeitpunkt aber längst ein Alibi: Im Klub tobte ein Machtkampf, es regierte das Chaos und dieses prägte auch das Geschehen auf dem Rasen. Präsident Dölf Früh war aus gesundheitlichen Gründen zurückgetreten, die neue, durch Früh installierte Führungscrew um Fussball-Nobody Stefan Hernandez war nicht im Ansatz in der Lage, die zuweilen öffentlich ausgetragenen Schlammschlachten zu beenden und den Klub zu einen.

Die Finanzen als zentrales Thema

Im Verwaltungsrat um Hernandez, Ferruccio Vanin, Sascha Roth und Brigitta Mettler suchte man zudem zwei Dinge vergebens: sportliche Kompetenz und Unabhängigkeit. Drei der vier Verwaltungsräte waren gleichzeitig Angestellte des Klubs. Oder deutlicher ausgedrückt: Hätte Stefan Hernandez als interimistischer CEO der Event AG eine Lohnerhöhung gewollt, wäre seine Ansprechperson dafür Verwaltungsratspräsident Stefan Hernandez gewesen. Es war eine Konstellation, die aktuell Gegenstand der Untersuchungen ist, die der neue Verwaltungsrat um Matthias Hüppi eingeleitet hat.

Unregelmässigkeiten bei Lohn- oder Bonuszahlungen wurden bislang zwar keine festgestellt und doch blieben die Finanzen zentrales Thema, so etwa beim Transfer von Albian Ajeti. Der hochtalentierte Stürmer soll dem Vernehmen nach für eine Summe von 3,1 Millionen Franken an den FC Basel verkauft worden sein. Ein Geschäft, bei dem nach allen Abzügen kaum eine Million Erlös übrigbleiben dürfte. Ein Fiasko, das ein fähiger Sportchef womöglich verhindert hätte, zumal der Deal am allerletzten Tag der Transferperiode über die Bühne ging und sich der zahlungskräftige FC Basel in einer sportlich prekären Lage befand.

Das Warten auf Dölf Früh

Geld kosteten aber auch die Entlassungen von Zinnbauer, Physio Simon Storm, Teammanager Martin Stocklasa oder die Freistellung von Sportchef Christian Stübi. Ins Geld ging auch der Zuschauerschwund; die 9987 Zuschauer im Heimspiel gegen Lugano bedeuteten Minusrekord seit der Super League-Rückkehr im Jahr 2012. Und teuer war auch der Umstand, dass sich  Sponsoren nicht mehr mit dem FC St. Gallen identifizieren konnten und sich zurückzogen – oder einen Rückzug zumindest erwogen.

Als sich Dölf Früh im November dazu durchrang, sein Aktienpaket von knapp 50 Prozent zu verkaufen, war dem neuen, einheitlich auftretenden Aktionariat klar: Jetzt muss gehandelt werden. Dass Früh so lange auf sich warten liess, ist einer von vielen Wermutstropfen im Jahr 2017. Hätte der Retter von 2010 schneller gehandelt, wäre wohl weniger Geschirr zu Bruch gegangen.

Nur einen Monat nach Frühs Verkauf war die Ära Hernandez indes Vergangenheit. Zusammen mit dem Halbjahrespräsidenten hatte der gesamte Verwaltungsrat ausgedient. Mit der Installierung der neuen Führung ist den Aktionären ein Coup geglückt, der seinen Platz in den Geschichtsbüchern des FCSG auf sicher haben wird – der die Zuschauer mit einem verrückten Jahr doch noch zu versöhnen vermag.

Das Hoffen auf Matthias Hüppi

Der neue Verwaltungsrat ist das pure Gegenteil des vergangenen Gremiums. Er ist in allen Belangen kompetent, sei es in sportlichen (Peter Germann, Stefan Wolf, Matthias Hüppi), juristischen (Patrick Gründler) oder finanziellen (Christoph Hammer) Fragen. Er ist unabhängig. Und er wird demokratisch geführt: Dass der Verwaltungsrat aus fünf Personen besteht, ist kein Zufall. Schliesslich wolle er keinen Stichentscheid fällen müssen, sagte Präsident Matthias Hüppi bei der von ihm moderierten Präsentation der neuen Klubführung.

Die riesige Euphorie rund um den Führungswechsel war nach den turbulenten Monaten zwar wohltuend, darf aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass auf den neuen Verwaltungsrat ein «Säntis» voll Arbeit wartet. Er muss die Mannschaft sportlich stabilisieren und Altlasten – personelle wie finanzielle – beseitigen.

Als der FC St. Gallen im ersten Spiel nach dem Führungswechsel gegen den FC Sion spielte und mit einem Tor Differenz gewann, löste dieser Sieg nicht Beklemmen, sondern Freude und Hoffnung aus. Immerhin das hat Hoffnungsträger Hüppi bereits erreicht.

veröffentlicht: 22. Dezember 2017 05:39
aktualisiert: 22. Dezember 2017 10:38

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