Will man wissen, was im Prozess zwischen Johnny Depp gegen Amber Heard passiert ist, muss man zuerst ein paar Jahre zurück schauen. Ins Jahr 2018.
Damals schrieb Amber Heard in einem Gastkommentar der Washington Post über ihre Erfahrungen als Opfer von häuslicher Gewalt. Namen wurden keine genannt. Sie beschrieb auch keine Details. Nein, sie nutzte ihre Erfahrungen zur Forderung nach strengeren Gesetzen und klagte an, dass mächtige Täter geschützt werden.
«Ich musste jede Woche meine Telefonnummer ändern, ich bekam Morddrohungen, habe meine Wohnung kaum mehr verlassen und falls doch, wurde ich von Fotografen verfolgt. Es fühlte sich an, als würde ich öffentlich vor einem Gericht stehen und dürfte mich nicht dazu äussern. Ich will sicher gehen, dass Frauen, die Gewalt erleben, mehr Unterstützung erhalten», schrieb Heard.
Johnny Depp fühlte sich offensichtlich angesprochen und klagte. Obwohl sein Name nie erwähnt wurde. Obwohl er nur für ein Jahr von 2015 bis 2016 mit Heard verheiratet war.
Möglich, dass es damit zu tun hatte, dass er – ebenfalls 2018 – die britische «Sun» verklagte, die ihn einen «Frauenschläger» nannte. Er verlor diesen Prozess, in 12 von 14 Punkten sah es das Gericht in London als erwiesen an, dass er Amber Heard misshandelt hatte.
Im neuen Prozess sollte es anders kommen. Dafür wurde als Gerichtsort von Depps Anwälten Virginia gewählt, obwohl Depp und Heard keine Beziehung zu diesem Staat haben. Aber Virginia hat die schwächsten Gesetze gegen Anschuldigungen. Die Erfolgschancen sind hier für solche Klagen ziemlich hoch.
Was sich rund um den aktuellen Prozess ereignet hatte, war ein Trauerspiel. Vor einer Urteilsverkündung war die Meinung der Öffentlichkeit bereits gemacht. Depp sollte der Held sein, die Frau lügt. Frauenfeindliche Memes wurden geteilt, Heard wurde mit dem Hashtag #AmberTurd (dt.: #AmberScheisse) bezeichnet, die Schauspielerin wurde lächerlich gemacht.
Nur schon dieses Signal an Frauen, die sich gegen Missbrauch und häusliche Gewalt wehren, ist fatal. Es zeigt: «Rede nicht darüber, wir nehmen dich nicht ernst, wir glauben dem Mann.» Auch wenn dieser Mann bereits wegen gleicher Anschuldigungen bereits verurteilt worden ist.
Heard musste sich in einem live übertragenen Prozess erneut allen Erniedrigungen stellen, vor den Augen der Öffentlichkeit. Sie musste alles nochmals erleben.
Dass sich Depp und Heard gegenseitig des Missbrauchs beschuldigten, macht die Sache nicht besser. Bei häuslicher Gewalt gibt es keine gleichberechtigten Personen. Dass sich jemand gegen Gewalt wehrt, macht die ursprüngliche Gewalt nicht gleichwertig.
Bei häuslicher Gewalt geht es um Machtausübung. Und genau darum ging es auch beim Prozess in Virginia. Für Heard war die Sache 2018 mit ihrem Gastkommentar abgeschlossen, sie hatte sich aus einer ungesunden Beziehung gelöst. Depp zog Heard mit seiner Klage wieder zurück und zwang sie dazu, sich erneut allen gegenseitigen Scheusslichkeiten zu stellen. Vor den Augen einer Öffentlichkeit, welche ihre Meinung bereits gemacht hatte.
Die Botschaft, die Heard in ihrem ursprünglichen Kommentar machte, ist deshalb umso wichtiger, egal ob die Schauspielerin jetzt schuldig gesprochen worden ist: Erlebst du sexuellen Missbrauch, wirst du belästigt, erlebst du Gewalt oder Psychoterror – melde dich, rede darüber, klage an, suche Unterstützung. Du bist nicht alleine und verdienst Hilfe.