Das Vermögen, sich Informationen über gewisse Zeiträume bewusst zu merken und daraus etwa abzuleiten, wie eine komplexere Aufgabe bewältigt werden kann, wird als eine der grossen Errungenschaften in der Entwicklung menschlichen Denkens angesehen. Damit etwa ein Satz oder Text verstanden werden kann, muss man sich am Schluss noch an dessen Beginn erinnern können.
Die Wissenschaft geht davon aus, dass vor allem der Mensch über ein leistungsstarkes Arbeitsgedächtnis verfügt. Wie es um diese Fähigkeit bei Tieren bestellt ist, ist hingegen noch relativ wenig erforscht, schreibt ein Forschungsteam in der aktuellen Ausgabe des Fachblatts «Proceedings of the Royal Society B».
Die Wissenschaftler von der Universität von St Andrews (Grossbritannien), vom Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie in Leipzig und vom Messerli Forschungsinstitut der Veterinärmedizinischen Universität (Vetmed) Wien untersuchten nun das Arbeitsgedächtnis unserer engsten Verwandten im Tierreich - den Schimpansen (Pan troglodytes) - in einem Futtersuche-Experiment.
«Frühere Studien zeigten bereits, dass Schimpansen ein exzellentes Langzeitgedächtnis besitzen. Bisher war allerdings wenig über ihr Arbeitsgedächtnis bekannt», so Christoph Völter, der unter anderem an der Vetmed tätig ist, in einer Mitteilung.
In der Studie konnten 13 Tiere jeweils beobachten, wie die Forscher Futter in unterschiedlichen undurchsichtigen Boxen versteckten. Wählten die Schimpansen dann eine Box aus, die Nahrung enthielt, erhielten sie diese als Belohnung. Nach jedem Versuch wurden die Boxen für 15 Sekunden abgedeckt.
Damit die Menschenaffen die maximale Futterausbeute erzielten, mussten sie sich also merken, welche Behälter sie schon zuvor ausgewählt hatten. Je nach dem Abschneiden der einzelnen Tiere verkomplizierten die Wissenschaftler die Aufgabe und änderten entweder deren Anordnung oder Anzahl. In weiteren Tests wurden die Tiere auch zusätzlich abgelenkt.
Es zeigte sich, dass sich die Schimpansen im Schnitt an mindestens vier von ihnen bereits ausgewählte Boxen erinnerten,. Ein junger Schimpanse merkte sich sogar sieben Behälter. Diese deutlichen Unterschiede im Abschneiden bei der Aufgabe waren auch über mehrere Monate stabil, in denen die Tiere das Experiment immer wieder wiederholten.
Das Aussehen der Boxen und deren Position spielte ebenso eine Rolle bei den erzielten Ergebnissen. Wie auch Menschen taten sich die Affen deutlich schwerer, wenn man sie durch eine zweite oder dritte Aufgabe ablenkte. Im Unterschied zu Menschen gingen die Tiere jedoch nicht systematisch vor: So kam beispielsweise keiner der Schimpansen auf die Idee, die Behälter der Reihe nach abzusuchen.
Insgesamt fanden die Wissenschaftler jedoch deutliche Parallelen im Arbeitsgedächtnis von Schimpansen und Menschen: «Unsere Studie zeigt, dass Schimpansen ähnlich abschneiden wie siebenjährige Kinder in einer für sie leicht verständlichen Arbeitsgedächtnisaufgabe, die ohne langwieriges Training auskommt», so Völter.
http://dx.doi.org/10.1098/rspb.2019.0715