Für viele Menschen hat sich das Leben nach der Machtübernahme der Taliban in Afghanistan grundlegend verändert. Vor allem Frauen und Mädchen erfahren in ihren Rechten systematische Diskriminierungen. Die Lage für sie hat sich dramatisch verschlechtert. Eine Vielzahl strikter Vorschriften schliessen Frauen und Mädchen de facto vom öffentlichen Leben aus. «Ihr Recht auf ein freies, selbstbestimmtes und gleichberechtigtes Leben wurde im vergangenen Jahr zunehmend verletzt», berichtet die Vorsitzende der UN Women Deutschland Elke Ferner.
Die Bewegungsfreiheit ist sehr stark eingeschränkt worden. «Frauen dürfen grösstenteils nicht ausserhalb des Hauses arbeiten und können kein eigenes Einkommen generieren. Ausserdem müssen sie in der Öffentlichkeit ihr Gesicht verhüllen und mit einer männlichen Begleitperson aus ihrer Verwandtschaft reisen», erläutert Elke Ferner. «Weil sich Frauen im öffentlichen Raum nicht mehr frei bewegen können, ohne ein enormes Risiko einzugehen, haben sie dadurch natürlich sehr viel schlechtere Möglichkeiten, medizinische Versorgung zu erlangen.» Dabei gehe es vor allem um die sexuelle und reproduktive Gesundheit.
Darüber hinaus sind Frauen von der politischen Teilhabe ausgeschlossen. Das heisst, sie sind im Kabinett nicht vertreten und das Ministerium für Frauenangelegenheiten wurde kurz nach der Machtübernahme abgeschafft, wie die Vorsitzende ausführt.
Doch das wird nicht ausnahmslos hingenommen. «In jeder afghanischen Provinz, die ich besucht habe, haben mir die Frauen gesagt, dass sie nicht aufgeben werden. Sie werden diesen systematischen Ausschluss vom öffentlichen Leben, diese Einschränkungen ihres Rechts zu lernen, zu arbeiten und eine Stimme zu haben, nicht akzeptieren Für die meisten Frauen auf der Welt ist es normal, das Haus zu verlassen. Für viele afghanische Frauen ist das ein Akt des Widerstandes», berichtet Alison Davidian, kommissarische Länderbeauftragte für UN Women in Afghanistan. Frauen gründen neue zivilgesellschaftliche Gruppen, die sich um die Bedürfnisse der Gemeinschaft kümmern, sie gründen Unternehmen und gehen weiterhin zur Arbeit, um Gesundheits- und Schutzdienste anzubieten.
Die Frauen dürfen nicht ihrem Schicksal überlassen werden
Dass diese Frauen allerdings gefährlich leben, ist hinlänglich bekannt. «Es ist natürlich schwierig, dazu konkrete Informationen zu bekommen. Wir wissen, dass einige Frauenrechtlerinnen im letzten Jahr ‹verschwunden› sind und wir haben von einigen Fällen von Gewalt erfahren», fügt Ferner noch an. Die Frauen leben in ständiger Angst dafür mit Gewalt bestraft zu werden. Genauso auch trans Menschen und Homosexuelle. Dazu könne UN Women jedoch keine konkreten Informationen liefern. «Es ist aber davon auszugehen, dass sie einer noch höheren Gefahr ausgesetzt sind und ihre Identität und Sexualität keinesfalls leben können», sagt Elke Ferner.
Es sei wichtig, dass die humanitäre und menschenrechtliche Krise in Afghanistan nicht vergessen und Frauen und Mädchen nicht ihrem Schicksal überlassen würden, so Michael Kunz von der Afghanistanhilfe in der Schweiz. Eine gute Möglichkeit hierzulande zu helfen, sei Hilfswerke zu unterstützen, die der lokalen Bevölkerung vor Ort beistünden. «Die grössten Einschränkungen erleben wir im Bereich der Bildung für Frauen und in der Führung unserer Waisenhäuser – auch in Bezug auf die Mädchen.»
Lebensmittel werden aktuell dringend gebraucht
Den Mädchen ist es laut Kunz grundsätzlich erlaubt, die Schule bis zur 6. Klasse, also ihrem 12. Lebensjahr, zu besuchen. «Im Austausch mit den lokalen Machthabern der Taliban in verschiedenen Projektgebieten war es uns [der Afghanistanhilfe, Anm. der Red.] möglich zu erreichen, dass in einigen Gebieten die Mädchen in unseren Schulen bis zur 9. oder gar bis zur 12. Klasse die Schulen besuchen dürfen», bemerkt Kunz.
Derzeit benötige die Afghanistanhilfe allerdings am meisten Unterstützung in der Lebensmittehilfe. Die UNO gehe derzeit davon aus, dass die Hälfte der Bevölkerung an Hunger leide. «Durch die akute Hungersnot in Afghanistan verteilen wir in verschiedenen Landesteilen Lebensmittelpakete an die hungernde Bevölkerung», teilt Kunz mit. «Wir freuen uns über jede Familie, die wir mit unseren Lebensmittelverteilungen unterstützen können.»