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Wahldesaster für May

Wahldesaster für May

09.06.2017, 09:12 Uhr
· Online seit 09.06.2017, 06:52 Uhr
Hoch gepokert - und am Ende verzockt: Theresa May hat mit ihrer Tory-Partei die Mehrheit im britischen Parlament verloren. Weder die Konservativen noch die oppositionelle Labour-Partei haben eine Chance, mehr als die Hälfte der 650 Wahlkreise für sich zu gewinnen.
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Das bestätigten am Freitagmorgen veröffentlichte Zahlen, die auf der Auszählung fast aller Stimmen der Parlamentswahl basierten. Die Tories könnten auf insgesamt 319 der insgesamt 650 Sitze im Unterhaus kommen, 309 Sitze sind ihnen bislang sicher. Die Vergabe von 16 Sitzen stand noch aus.

Für die politische Zukunft Grossbritanniens gibt es damit mehrere Optionen. Die Konservativen können sich um eine Koalition bemühen, wobei die Chancen dafür angesichts tiefgehender Meinungsverschiedenheiten eher gering sind.

Minderheitsregierung?

Als Alternative könnten die Tories auch eine Minderheitsregierung bilden und auf die Unterstützung anderer Parteien in Einzelfragen setzen. Möglich wäre aber auch eine von der Labour-Partei angeführte Koalition, denn sie ist in mehreren Positionen näher an den anderen Parteien als die Konservativen. Funktionieren alle diese Möglichkeiten nicht, stünde Grossbritannien vor Neuwahlen.

Auch Mays politische Zukunft steht infrage. Ihr Herausforderer Jeremy Corbyn, dessen Labour-Partei stark zulegen konnte, forderte die Regierungschefin noch in der Nacht zum Rücktritt auf. Sie habe Stimmen, Sitze und Vertrauen verloren, sagte er. Das sei genug, um «zu gehen und Platz zu machen für eine Regierung, die wirklich alle Menschen dieses Landes repräsentiert.»

May hatte sich in der Nacht ebenfalls zu Wort gemeldet, als sie ihren Wahlkreis Maidenhead gewann. Das Land brauche jetzt «mehr als alles andere» eine Phase der Stabilität, sagte die angeschlagen wirkende Regierungschefin. Wenn ihre Partei die meisten Sitze gewinne, werde sie dafür sorgen, dass es diese Phase gebe.

May hoffte auf Rückhalt

May hatte die vorgezogene Wahl im April damit begründet, dass Grossbritannien eine «starke und stabile» Regierung in komplizierten Brexit-Zeiten brauche. Deshalb wollte sie die Regierungsmehrheit ihrer Konservativen im Unterhaus vergrössern.

Mays Ziel war es, sich sowohl in ihrer Partei als auch im Land mehr Rückhalt für die Verhandlungen über den EU-Austritt zu sichern. Wie die Trennung von der EU vollzogen werden soll, war eines der Themen im Wahlkampf - aber nicht das dominierende.

May steht für einen sogenannten harten Brexit, das heisst, sie stellt die Kontrolle der Grenzen über eine Beteiligung Grossbritanniens am europäischen Binnenmarkt. Labour will einen weicheren Brexit und eng mit der EU zusammenarbeiten.

Aber die Entscheidung der Briten vom vergangenen Jahr, aus der EU auszutreten, will auch Corbyn nicht rückgängig machen. Einzig die Liberaldemokraten wollen den Brexit noch verhindern, dies gilt jedoch als aussichtslos.

Erschwerte Gespräche

Elmar Brok, Brexit-Beauftragter der EVP im EU-Parlament, sagte unmittelbar nach der ersten Prognose im ZDF, er erwarte bei einem solchen Ausgang erschwerte Brexit-Gespräche. «Dieses Ergebnis bedeutet, dass überhaupt keiner Kompromisse machen kann. Das wird für die Brexit-Verhandlungen sehr grosse Erschwernisse mitbringen.» Zudem werde es bei den Konservativen einen heftigen Kampf um Mays Nachfolge geben.

Auch EU-Kommissar Günther Oettinger erwartet nach dem Ausgang der Wahl mehr Unsicherheit bei den Brexit-Verhandlungen. Unklar sei, ob diese wie geplant beginnen könnten, sagt er dem Deutschlandfunk.

Als May die Neuwahl überraschend ausgerufen hatte, galt noch ein überragender Sieg mit einem Zugewinn von 100 Sitzen für die Tories als wahrscheinlich. Die letzten Umfragen vor der Wahl hatten zwar auf einen geringeren Vorsprung hingedeutet, allerdings nicht auf einen Verlust der absoluten Mehrheit.

Mehrere Fehler im Wahlkampf und die Sicherheitsdebatte nach den Terroranschlägen in London und Manchester hatten die Premierministerin in Bedrängnis gebracht. In ihrer Amtszeit als Innenministerin waren Stellen bei der Polizei gekürzt worden.

veröffentlicht: 9. Juni 2017 06:52
aktualisiert: 9. Juni 2017 09:12
Quelle: SDA

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