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Nach Abstimmung über Gemeindefusionen in Ausserrhoden: Experte ordnet ein

Nach Abstimmung

Experte über Ausserrhoder Fusionen: «Radikale Vorschläge haben es schwer»

· Online seit 29.11.2023, 11:17 Uhr
Rund ein Drittel der Schweizer Gemeinden ist in den letzten 20 Jahren verschwunden. Sieht aus, als wäre die Schweizer Bevölkerung fusionsfreudig. Die Annahme der Eventualvorlage zeigt: Auch der Kanton Appenzell Ausserrhoden ist offen dafür. Ein Fusions-Experte schätzt ein.
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Zuletzt hat sich am Sonntag das Ausserrhoder Stimmvolk gegen eine Grossfusion ausgesprochen. Damit ist der Kanton keine Ausnahme. Im November haben die Stimmberechtigten im Baselbiet beispielsweise die Hochzeit der Gemeinden Hersberg und Arisdorf abgelehnt. Und auch Ende Oktober ist die Fusion zwischen Bern und Ostermundigen gescheitert.

Mit der Eventualvorlage, die im Kanton Appenzell Ausserrhoden angenommen wurde, können die Gemeinden nun selbst entscheiden ob, und mit wem, sie verschmelzen wollen. Aber warum fusionieren Gemeinden eigentlich und wie verändert sich die finanzielle Situation danach?

Die brennendsten Fragen beantwortet Reto Steiner, Direktor ZHAW School of Management and Law, im Interview mit FM1Today.

Über Gemeindefusionen wurde schon öfters abgestimmt – weshalb werden solche Fusionen überhaupt durchgeführt?

Zum einen gibt es Gemeinden, die sich damit eine strategisch bessere Positionierung erhoffen. Das bedeutet, dass die Gemeinden ihre Aufgaben besser erfüllen können und somit in der Region stärker sind. Es gibt aber auch Gemeindefusionen, weil es ohne nicht mehr gehen würde. Unter anderem, weil die Gemeinden kein Personal für die politischen Ämter finden. Auch finanzielle Probleme sind ein Grund, warum sich Gemeinden zusammenschliessen wollen.

Mit der Eventualvorlage können die Gemeinden des Kantons Appenzell Ausserrhoden nun selbst über eine Fusion entscheiden. Wie realistisch ist es, dass sich in Zukunft gewisse Gemeinden zusammenschliessen werden? 

Mit der Annahme der Eventualvorlage sieht man, dass der Kanton Appenzell Ausserrhoden offen fürs Fusionieren ist. Ich halte es grundsätzlich für den sinnvolleren Ansatz, dass man einen Schritt nach dem anderen gehen will. Es ist möglich, dass wir in den nächsten 10 bis 15 Jahren eine Fusion einzelner Gemeinden des Kantons sehen werden. Stark davon abhängig ist, wie sich die Situation der Gemeinden entwickelt. Weiter ist ausschlaggebend, mit welchen Anreizen der Kanton die Fusionen ermöglichen und unterstützen wird.

Hat eine Fusion Einfluss auf die finanzielle Lage einer Gemeinde?

Die Qualität der Leistungsbringung wird durchaus besser. Somit kann man der Bevölkerung bessere und mehr Leistungen anbieten. Trotzdem zeigen Fusionen sehr unterschiedliche Ergebnisse. Oft wird das Leistungsniveau auf das der besten Gemeinde angehoben – bei den Steuersätzen hingegen wird sich oft der Gemeinde mit dem tiefsten Steuersatz orientiert. Fusionen sind somit kein finanzielles Entlastungspaket, sondern unterstützen mehrheitlich dabei, genug Personal der politischen Ämter zu gewährleisten und um das Leistungsniveau zu verbessern.

Mit dem Gegenvorschlag wären aus 20 Gemeinden drei bis fünf Gemeinden geworden, was hätte sich verändert?

Die Reduktion auf drei bis fünf Gemeinden war ein sehr radikaler Vorschlag. Das hat es erst in einem Kanton der Schweiz gegeben, und zwar im Kanton Glarus. Wäre dieser radikale Vorschlag in Ausserrhoden durchgekommen, hätte man unter anderem optimal planen können, wie viele Mitarbeitende es für eine neue Gemeinde braucht. Ebenfalls hätte die Gemeinde von Grund auf neu entscheiden können, welche Leistungen angeboten werden sollen. Konkret hätte sich eine Gemeinde so komplett neu gestaltet. Man hätte so gemeinsam eine Kultur aufbauen können.

Gleichzeitig wären die Neugestaltung und das Zusammenführen der Kulturen eine Herausforderung geworden. Dazu wäre es denkbar, dass mit der Grossfusion einige Arbeitsstellen verloren gegangen wären. Hätte man wirklich Geld sparen wollen, wäre die Frage aufgekommen, ob es wirklich alle Angestellten in dieser Form noch braucht.

Solch radikalen Vorschläge haben es in der Schweiz tendenziell schwer. Im Kanton Glarus war das nur möglich, weil an der Landsgemeinde eine Dynamik entstanden ist.

Den Gegnern ging es unter anderem darum, privilegierte Verhältnisse einzelner Gemeinden bei der Steuersituation nicht aufgeben zu müssen. Wäre denn bei einer Grossfusion ein deutlicher Unterschied spürbar?

Es ist im Vorhinein nicht einfach zu sagen, wie sich die finanzielle Situation nach einer Fusion entwickelt. Das müsste man detailliert angehen. Die Reform müsste dafür modelliert werden, was hier jetzt nicht der Fall ist. Trotzdem denke ich, dass sich der Kanton nun durchaus Gedanken machen wird, mit welcher Unterstützung man Projekte fördern und somit bessere Leistungen erbringen und schlussendlich die Kosten senken kann.

Fusionen sind aber kein Finanz-Sanierungsprojekt. In der Schweiz gab es bislang Gemeindefusionen, um die Autonomie zu stärken. Eine Gemeinde, die zwar auf dem Papier existiert, aber in fast allen Aufgaben mit anderen Gemeinden zusammenarbeitet und auf den kantonalen Finanzausgleich angewiesen ist, ist keine selbstständige Gemeinde. Und das ist das, was schlussendlich entscheiden ist. Eine Gemeinde soll keine Schein-, sondern eine reale Autonomie haben.

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veröffentlicht: 29. November 2023 11:17
aktualisiert: 29. November 2023 11:17
Quelle: FM1Today

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