Ostschweiz

Gendern, Wolf und Theater – so wollen sich Politiker im Wahlkampfjahr profilieren

Absurde Vorstösse

Gendern, Wolf und Theater – so wollen sich Politiker im Wahlkampfjahr profilieren

24.07.2023, 10:29 Uhr
· Online seit 24.07.2023, 06:00 Uhr
Das Gendern verbieten, ganze Gebäude verschiffen, oder Dauerbrenner Wolf: Geht es auf Wahlen zu, häufen sich in den Parlamenten die Vorstösse – teils mit zweifelhafter Sinnhaftigkeit. Auch die Ostschweizer Volksvertreterinnen und Volksvertreter haben beim Wunsch, sich zu profilieren, teils skurrile Ideen.
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Im Gespräch bleiben und die eigene Bekanntheit erhöhen. Für die schweizer Politikerinnen und Politiker ist das dieses Jahr besonders wichtig: Im Oktober stehen die nationalen Wahlen an, im kommenden Frühjahr folgen die kantonalen und darauf die komunalen. Wer den Sprung in das nationale Parlament schaffen oder etwa seinen Sitz im Kantonsrat behalten will, ist darauf angewiesen, dass sein Name und sein Gesicht den Wählerinnen und Wählern zumindest ansatzweise bekannt ist.

Ein beliebtes Mittel sich zu profilieren: Vorstösse in den Parlamenten. Politbeoachter Reto Antenen bestätigt, dass diese vor den anstehenden Wahlen zunehmen und, dass dahinter die eine oder andere Bemühung steckt, sich im politischen Gewimmel noch etwas sichtbarer zu machen. «Gerade bei einer Einfachen Anfragen würde oft ein Anruf bei der Verwaltung oder des zuständigen Regierungsrats ausreichen, um einen Sachverhalt zu klären. Viele Politikerinnen und Politiker erhoffen sich aber noch etwas Publicity.» In St.Gallen etwa sind im Kantonsrat derzeit gut 100 Vorstösse hängig.

Grüne will Theater in die Ukraine verfrachten 

Als Bespiele nennt er etwa einen Vorstoss einer Grünen Politikerin aus dem Kanton St.Gallen. Anfang Juni reichte diese einen Vorstoss ein, mit der Frage, ob das St.Galler Theaterprovisorium an die Ukraine verschenkt werden und in das vom Krieg gebeutelte Land verfrachtete werden könnte. Der provisorische Bau beherbergte das Theater, während dessen Umbau und muss bis März 2024 zurückgebaut werden. Bemühungen, das Provisorium zur Zweitnutzung an andere Gemeinden zu verkaufen, scheiterten.

Quelle: TVO

Ansatzweise folge auch dieser Vorstoss den bekannten Mustern der Parteien, wie Antenen erklärt. Links-Grün beackert gerne , Asyl-, Umwelt- und Gesundheitsthemen, die rechten stören sich dieses Jahr besonders an der Genderthematik.

SVP kämpft gegen den Genderstern

Jüngstes Beispiel dazu: Im Kanton Thurgau will die SVP mit einer parlamentarischen Initiative unter anderem die «sprachliche Neutralität» in der Verfassung verankern. Damit wollen die Verfasser des Vorstosses wohl der Gendersprache an den Kragen. Tatsächlich könnte der Wortlaut des Vorstosses allerdings genau das Gegenteil erreichen und die «Genderneutrale» Sprache in der Verfassung bestätigen, wie ein Staatsrechtler sagt. 

Wirbel um drei Buchstaben

Die Genderthematik beschäftigt auch im Kanton St.Gallen. Zumindest einen Mitte-Kantonsrat. Er hat jedenfalls einen Vorstoss dazu eingereicht. In diesem zweifelt er die Angaben «m/w/d» in Stelleninseraten der kantonalen Verwaltung an. Der Kanton will mit den Inseraten unter anderem non-binäre Personen ansprechen. Dagegen habe er ja nichts, betont der Parlamentarier in der auf den Vorstoss folgenden Berichterstattung, aber es fehlten halt die rechtlichen Grundlagen dazu und er wirft die Frage auf, an welchen Richtlinien sich der Kanton orientiert. Die Antwort der Regierung ist kurz und knapp. Zusammengefasst heisst es, die Angaben «m/w/d» seien durchaus marktüblich und man wolle alle Personen ansprechen. Eine spezielle rechtliche Grundlage brauche es nicht.

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Rondelle retten – nur will sie keiner 

Kurz und knapp erfolgt auch die Absage der Stadt St.Gallen auf einen Vorstoss im Stadtparlament. Streitpunkt: die Rondelle auf dem Marktplatz. Bei der Neugestaltung des Platzes verschwindet diese. Ein SPler und eine SVPlerin hatten es sich aber zum Ziel gemacht diese zu retten und forderten den Stadtrat auf, sich für den Erhalt einzusetzen. Die kürzlich publizierte Antwort: Das Stimmvolk habe sich bei der Abstimmung über die Marktplatzgestaltung gegen den Erhalt der Rondelle ausgesprochen, gegen eine Private Nutzung spreche nichts, sollten die Parlamentarier Interesse an der Rondelle haben.

Spitäler und der Wolf

Interessant sind die kantonalen Unterschiede bei den Vorstössen. Besonders im Wahlkampfjahr scheinen die Parteien immer wieder in die gleiche Kerbe zu schlagen. Während in St.Gallen dabei etwa der Dauerbrenner Spitäler immer wieder entflammt, beschäftigen sich die Bündner gerne mit dem hochemotionalen Thema Wolf. So sind seit Anfang Jahr bereits drei Vorstösse eingegangen, wie viele Wölfe es denn nun gibt, wie viele Probleme die Tiere machen würden und wie der Kanton diesen begegnet.

Kosten von bis zu 10'000 Franken – pro Vorstoss 

Dass die Regierungen und die Kantonsverwaltungen sich vor den Wahlen mit besonders vielen Vorstössen herumschlagen müssen, findet Politexperte Reto Antenen ein Quatsch. «Wir haben so oder so zu viele Vorstösse in den Parlamenten. Kommt dazu, dass etwa eine Interpelation jedes Mal Kosten von knapp 10'000 Franken verursacht.»

«Standaktionen sind effektiver»

Tatsächlich bringe denn die Vorstossflut im Wahlkampf gar nicht soviel. «Wer mit einem absurden Vorstoss Aufmerksamkeit erhaschen möchte, der ist auch immer noch darauf angewiesen, dass dieser tatsächlich bei der breiten Bevölkerung bekannt wird», so Antenen. Die althergebrachten Standaktionen und eine gute Social-Media-Präsenz seien viel effektiver und würden die Verwaltung und am Ende den Steuerzahler nicht belasten.

Ob denn nun hinter den erwähnten und vielen weiteren Vorstössen der reine Wunsch nach mehr Bekanntheit steckt, das ist nur zu vermuten. Bestimmt sind die Verfasser der Vorstösse von ihren Anliegen überzeugt. Zweifelsohne schwingt der Wunsch, der politischen Karriere Aufschwung zu verleihen, auch irgendwo im Hinterstübchen mit und verleitet im Wahlkampfjahr manch einen Volksvertreter oder Volksvertreterin dazu, etwas energetischer in die Tasten zu hauen.

veröffentlicht: 24. Juli 2023 06:00
aktualisiert: 24. Juli 2023 10:29
Quelle: FM1Today

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